Handbikes sind die Formel-1-Wagen unter den Rollstühlen. Aus diesem Grund haben die modernen Sportgeräte behinderter Menschen auch die klassischen Rollstühle bei City-Marathons verdrängt. Auf regennassen Straßen bekommen diese Gefährte allerdings in den Kurven schon einmal Probleme. Der Niederländer Ad Aarts hat ein solches Handbike speziell für Kunst- und Natureisbahnen entwickelt. Leicht nachzuvollziehen, dass auch er bei Kurvenfahrten massive Schwierigkeiten hatte, auf dem Eis den Kurs zu halten.
Wer mit dem PKW schon einmal auf vereisten Strecken unterwegs war, der kennt das unangenehme Gefühl, wenn es in eine Kurve geht. Dieses Gefühl, sein Auto nicht hundertprozentig im Griff zu haben, immer der Gefahr ausgesetzt - je nach Antrieb -, beim Beschleunigen zu unter- oder zu übersteuern. Technische Hilfsmittel wie ABS oder Kurvenassistenten haben diese Situationen ein wenig entschärft, dennoch ist die Geschwindigkeit bei solchen Verhältnissen deutlich reduziert. Der Begriff "angepasstes Fahren" kommt nicht von ungefähr. So in etwa musste man sich das auch vorstellen, wenn Ad Aarts mit seinem Ice-Handbike unterwegs war. So lange er geradeaus fuhr, konnte er eine konstant hohe Geschwindigkeit aufs Eis legen, so bald es in eine Kurve ging, lag diese nur noch bei 13 bis 14 km/h. Jeder km/h darüber führte dazu, dass sein selbstgebautes Handbike ausbrach. Für jemanden wie diesen Mustersportler, der auf ultralangen Strecken von 200 Kilometern weniger als 11 Stunden benötigen will, ist dies nicht akzeptabel. Denn Aarts verlor nicht nur in den Kurven Zeit, auch das Herausbeschleunigen stellte sich als limitierender Faktor dar - und das gleich in doppelter Hinsicht. Denn es dauert nicht nur eine Weile, bis sein Untersatz wieder die optimale Geschwindigkeit erreicht, sondern auf dem Weg dorthin verspielt er auch unnötig Kräfte. Gleiches gilt für die knapp zehn Boxenstopps, die Ad Aarts für Touren um die 200 Kilometer einplant. Im Gegensatz zu Formel-1-Rennen werden dann keine neuen Reifen aufgezogen, sondern Akkus ausgetauscht, die den querschnittsgelähmten Athleten vor Erfrierungen an den Beinen schützen. Zwar vollzieht sich dieser Vorgang ähnlich schnell wie ein Reifenwechsel in der Formel-1, die Durchschnittsgeschwindigkeit senkt er trotzdem.
Konstruktion optimiert: Ölbremsen setzen sich gegenüber Industriegasfedern durch
Seitdem sich Ad Aarts mit Ice-Handbikes beschäftigt, waren Kurvenfahrten aus den o. g. Gründen das Problem. Deshalb hatte er schon bei seinem ersten Umbau eines Standard-Handbikemodells für Fahrten auf dem Eis technische Unterstützung. Seinerzeit setzte er auf Industriegasfedern wie sie beim Öffnen von kleinen Hauben, Deckeln oder Klappen eingesetzt werden. Ohne sie wäre selbst seine Kurvengeschwindigkeit von bis zu 14 km/h nicht möglich gewesen. Aber Ad Aarts wollte mehr. Denn die instabile Kurvenlage bei Verwendung der Gasfedern konnte ihm nicht gefallen. Aus diesem Grund wandte er sich an die ACE Stoßdämpfer GmbH, genauer gesagt an deren firmeneigenen Vertrieb in den Niederlanden. Der Experte vor Ort, Han Titulaer, schlug zwei Ölbremsen mit Trennkolben vor. Im Normalfall dienen Ölbremsen dazu, für eine konstante Vorschubgeschindigkeit entlang ihres Hubes zu sorgen, wenn es nicht zu hohen Aufprallgeschwindigkeiten kommt. Entsprechend der unterschiedlichen Größen decken die geschlossenen, hydraulischen und einstellbaren Bremsen große Kraftbereiche ab. Sie reichen von 50 N bis 1.800 N. Normale Einsatzfälle dieser Maschinenelemente sind z. B. das Bohren von Feinblechen oder das Sägen von Aluminium- und Kunststoffprofilen, um in der Regel Werkzeugbrüche zu vermeiden. Beim in den Niederlanden verwendeten Typ handelt es sich hingegen um ein Sondermodell einer gasbefüllten Ölbremse, die bei ACE unter dem wenig poetischen Namen HB-22-150-EE-NT-200N gelistet wird. Nun mag sich der eine oder andere mit den Lösungen der ACE Stoßdämpfer GmbH vertraute Konstrukteur wundern. Normalerweise steht die Abkürzung "HB" beim Langenfelder Unternehmen für "Hydraulische Bremszylinder". Wegen ihrer Ähnlichkeit zu diesen Maschinenelementen werden gerade die Sonderlösungen bei den Ölbremsen häufig auch unter dieser Produktbezeichnung geführt. Warum ist gerade diese Lösung im vorliegenden Fall so geeignet? Es liegt an der Möglichkeit, eine schiefe Ebene im Horizontalbereich wieder auszugleichen. Denn in den Kurven neigt sich der Sitz von Ad Aarts um 10 bis 15 Grad. Das anschließende Zurückstellen in den Horizontalbereich erlaubt eben genau die Kombination aus Ölbremsen und Gasbefüllung, weil die Ölbremsen in diesem Fall beim Einfahren dämpfen. Das Gas drückt die Kolbenstange danach mit einer Kraft von 200 N wieder nach draußen.
Nicht paradox: Höhere Kurvengeschwindigkeiten durch Ölbremsen
Bereits ein erster Test zeigte, wie hervorragend die neue Kombinationslösung als Stabilisator funktioniert. Ad Aarts gelang es ad hoc, die Kurven in einem Eisstadion ohne Probleme mit 21 km/h in der Stunde zu durchfahren, und der ambitionierte Sportler hofft auf noch mehr: "Das liegt daran, dass künstliches Eis härter und glatter ist als Natureis und die Kurven auf Natureisbahnen einen etwas größeren Radius haben", so Aarts. Zur Erklärung: Sein jährlicher Höhepunkt findet unter freiem Himmel statt. Weil es in den Niederlanden in den letzten Jahren bis auf den Winter 2012-2013 zu warm für geschlossene Eisdecken bei der sogenannten "Elfsteedentocht" war, einer Tour, die die elf historischen Städte der Provinz Friesland miteinander verbindet, wurde im Winter 2013-2014 eine Alternative auf dem Weißensee in Österreich ausgetragen. Hier sollte im Januar 2014 eigentlich das volle Potenzial der neuen Lösung ausgeschöpft werden, aber auch in 930 Meter Höhe in Kärnten machte das Wetter Aarts einen Strich durch die Rechnung. Wegen zu großer Schneefälle wurde das Rennen erst kurzfristig einen Tag vorgezogen, dann machte der Schnee die Strecke zu langsam. Im vorgegebenen Zeitlimit von 11 Stunden war so nicht an eine gefahrene Strecke von 200 Kilometern zu denken. Dennoch konnte Ad Aarts dem Tag Positives abgewinnen: "Die Kurvenfahrten waren super, mein Ice-Handbike war 100 Prozent stabil. Dennoch müssen die 200 Kilometer aus meinen Armen kommen. Und das ging durch den zusätzlichen Widerstand des Schnees einfach nicht."