TR: Herr Belle, Schleicher Electronic hat sich in gut 70 Jahren vom Relaishersteller zum Systemanbieter für Automatisierungslösungen entwickelt. Können Sie diese nicht gerade kurze Wegstrecke für unsere Leser im Schnelldurchgang rekapitulieren? Belle: Viele Kunden kennen uns tatsächlich schon aus den 50er Jahren, als Schleicher das damals weltweit erste multifunktionale Zeitrelais MZ 54 auf den Markt brachte. Noch heute ist dieses Produkt übrigens sehr beliebt, da es ohne Elektronik auf rein elektromechanischer Basis funktioniert. Von der Mechanik und Elektromechanik kommend, hat sich Schleicher dann sehr schnell mit den Anfängen der Elektronik beschäftigt und folgerichtig Mitte der 70er Jahre einen eigenen Geschäftsbereich Industrielle Steuerungstechnik gegründet. Ein weiterer großer Meilenstein war 1983 die Einführung der CNC-Technologie durch Übernahme des NC-Kerns vom Fraunhofer-Institut. Bis heute sind wir einer der ganz wenigen CNC-Hersteller mit eigenem NC-Kern und Know-How, worauf wir ganz besonders stolz sind. 1989 haben wir uns dann dem Thema Safety im Maschinenbau mit Einführung der SNO Sicherheits-Schaltgeräte verschrieben. Seit dieser Zeit entwickeln sich die beiden Säulen unseres Geschäfts, nämlich die Komponentenseite mit allen Arten von Zeit-, Überwachungs- und Sicherheitsrelais sowie die Steuerungsseite mit unseren modernen Automatisierungslösungen, kontinuierlich weiter. TR: Wenn Sie von "Steuerungsseite" sprechen - was genau meinen Sie damit? Belle: Damit meine ich sowohl unser heutiges CNC- als auch unser SPS-Portfolio, das in den 90er Jahren durch Einführung von Hochleistungsprozessoren und programmierbaren Logikbausteinen massiv gepusht wurde. Anfang 2000 ist uns mit der XCx-Steuerungsgeneration dann ein großer Wurf für die Lösung anspruchsvoller Kundenapplikationen gelungen, zum Beispiel für CNC-Anwendungen mit komplexen dreidimensionalen Bewegungen, wo viele Achsen interpoliert bewegt und geregelt werden müssen. Und wenn Sie im November auf die SPS/IPC/Drives nach Nürnberg kommen, werden Sie übrigens feststellen, dass sich Schleicher nicht weniger als neu erfunden hat. Unser gesamtes Produktportfolio wurde in diesem Jahr noch einmal modernisiert und ergänzt. TR: Ehrlich gesagt, Herr Belle, Ihre letzten Aussagen überraschen uns schon ein wenig. Wie der Markt weiß, hat Ihr Unternehmen in den letzten Jahren auch schwierige Zeiten erlebt. Wie erklären Sie uns und den Lesern heute die neu gewonnene Dynamik und Aufwärtsentwicklung? Belle: Keine Frage, Schleicher hat auch schwierigen Phase durchgemacht, und wir sind unseren Kunden sehr dankbar, dass sie uns in dieser Zeit die Treue gehalten haben. Eine neue Zeitrechnung hat für Schleicher vor ungefähr zwei Jahren begonnen, mit dem Verkauf unseres Unternehmens an die Münchner Aurelius-Gruppe. TR: Sie spielen darauf an, dass Ihr damals noch zu einer anderen Firmengruppe gehörendes Unternehmen an einen Finanzinvestor verkauft wurde? Belle: Richtig. Und wenn Sie schon den Begriff "Finanzinvestor" gebrauchen, möchte ich dazu etwas sagen. Die von der Politik vor Jahren angezettelte sogenannte "Heuschreckendiskussion" hat leider zur Verdammung einer ganzen Branche geführt. Das ist in dieser Form sicher nicht in Ordnung. Ich kann hier natürlich nur für unser Unternehmen und über unsere Erfahrung mit einem Finanzinvestor sprechen. Fakt ist jedoch, dass Schleicher unter den heutigen Marktbedingungen ohne einen finanzstarken Eigentümer keine Chance gehabt hätte, die globale Wirtschaftskrise zu überwinden. TR: Das heißt, Aurelius agiert tatsächlich als Investor? Belle: Ja, Aurelius investiert, und zwar antizyklisch, das heißt ganz bewusst in Zeiten der allgemeinen Wirtschaftskrise. Wovon viele reden, bei uns passiert's. Wir haben innerhalb von zwei Jahren die Entwicklungsabteilung verdoppelt, haben eine globale Wachstumsstrategie auf den Weg gebracht, neue Geschäftspartner vor allem in Wachtumsmärkten wie Asien aufgebaut. Und wir bewegen uns, wie schon zuvor angedeutet, immer mehr vom Komponentenhersteller zum Lösungsanbieter. Dies alles kostet Geld und benötigt einen langen Atem. Unser Eigentümer bringt beides mit. TR: In welchen Branchen werden Ihre Produkte eigentlich vorwiegend eingesetzt? Belle: In nahezu sämtlichen Sparten des klassischen Maschinenbaus. Sie finden Schleicher-Produkte an allen Arten von metallbe- und -verarbeitenden Maschinen, im Bereich Robotik und Handling. Stark vertreten sind wir bei Laser- und Wasserstrahlschneidemaschinen, um mal ganz konkrete Beispiele zu nennen. Auch in gänzlich anderen Branchen, wie der Umwelttechnologie oder im Bereich alternativer Energien, sind Schleicher-Produkte anzutreffen. Das Spektrum ist erfreulich groß und entwickelt sich ständig weiter. TR: Können die Automatisierungsaufgaben, die an Sie herangetragen werden, eigentlich mit Standardprodukten gelöst werden oder ist eine kundenspezifische Anpassung die Regel? Belle: Als produzierendes Unternehmen legen wir natürlich hohen Wert auf Qualität und Zuverlässigkeit unserer Produkte und Lösungen. Dies heißt für uns, dass viele unserer Produkte tatsächlich als Standardprodukte produziert und angeboten werden. Interessanterweise nimmt die Zahl der Kunden, die nach individuellen Lösungen suchen, zur Zeit überproportional zu. Und eine unserer Stärken besteht eben darin, auch diese kundenspezifischen Anforderungen bedienen zu können. Aufgrund unserer Plattformstrategie können wir selbst dabei auf einen hohen Prozentsatz an Bekanntem zurückgreifen. Auch dort, wo der Kunde eine eigene Lösung anstrebt, beruht diese also ebenfalls auf bei uns eingeführten und bewährten Technologien und Prozessen. TR: Mit dem auf der letzten Hannover Messe vorgestellten Motion Caption Interface (mocap) haben Sie das Programmieren von Handlingrobotern auf eine intuitive und damit vereinfachte Ebene transponiert. Bitte erläutern Sie uns kurz dieses Konzept. Belle: Am einfachsten können Sie mocap vielleicht mit einer ferngesteuerten Bedienkonsole vergleichen, wie man sie von PC-Spielen kennt. Bei uns bewegt der Roboter-Anwender eine kleines Handheld, ungefähr in der Größe einer Fernsehfernbedienung, in der Sensoren eingebaut sind, die die Handbewegung des Anwenders erfassen. Die daraus generierte Signale werden per Bluetooth an eine Schleicher-Steuerung gesendet. Und jetzt kommt der eigentliche Clou: diese spezielle Steuerung transformiert die Sensorsignale in einen von der CNC direkt lesbaren Softwarecode. Sie können damit einen Roboter "teachen", also einen Bewegungsablauf beibringen, ohne dass Sie etwas von CNC-Programmierung verstehen müssen. Sie benötigen kein aufwändiges Programmiersystem mehr. TR: Mit der SPS/IPC/Drives steht im November die national bedeutendste Messe für elektrische Automatisierung bevor. Einen kleinen Ausblick haben Sie uns vorhin schon gegeben. Können Sie unseren Lesern noch einmal zusammenfassen, was man von Schleicher in Nürnberg erwarten darf? Belle: Der Kunde wird alles auf unserem Stand finden, was er für seine Aufgabenstellung als Lösung sucht - angefangen von einer komplett neuen Steuerungsgeneration (sowohl SPS als auch CNC), über neue Bediengeräte mit webbasierter Anwenderschnittstelle bis hin zu kompletten Antriebslösungen, sowohl auf Servo- als auch auf Frequenzumrichterbasis. Und selbstverständlich übernehmen wir als Systempartner für den Kunden die volle Gewährleistung für das Gesamtpaket, nicht nur für einzelne Komponenten. TR: Herr Belle, wir bedanken uns für dieses Gespräch. Zahlen & Fakten zu Schleicher Electronic Gründung: 1937 Mitarbeiter: 125 Umsatz 2008: 20 Millionen EUR Firmensitz: Berlin Hauptproduktlinien: SPS- und CNC-Steuerungssysteme, dezentrale I/O-Systeme, Antriebe, Bediengeräte, branchen- und kundenspezifische Sonderlösungen
Armin Belle
Geschäftsführer Schleicher Electronic GmbH & Co. KG
- von Schleicher Electronic Berlin GmbH
- Oktober 1, 2009
- 84009 views