„Das zentrale Thema ist die IT-Transformation“

Interview mit Franz-Josef Schürmann, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Infosys in Deutschland

  • von Infosys
  • Juni 5, 2014
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  • Franz-Josef Schürmann, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Infosys in Deutschland
    Franz-Josef Schürmann, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Infosys in Deutschland

Franz-Josef Schürmann gibt im Interview mit TR nicht nur Auskunft über das Angebotsspektrum seines Unternehmens, sondern benennt auch die Herausforderungen, die der produzierenden Industrie im Hinblick auf das Thema Industrie 4.0 bevorstehen.

TR: Herr Schürmann, Ihr Unternehmen bietet Dienstleitungen in den Bereichen Business Consulting, Technologielösungen sowie Outsourcing für eine große Bandbreite an Branchen. Wie sieht Ihr Angebot in Bezug auf die produzierende Industrie aus?
Schürmann: Gerade in Deutschland, dem Land der Ingenieure, sind unsere Leistungen besonders gefragt. Unser Umsatz hierzulande hat sich in den letzten vier Jahren mehr als verdreifacht. Dabei liegen die wesentlichen Herausforderungen in den Bereichen Business Transformation, schnelle Innovationen und effizienter Betrieb. Mit dem Beratungsmodell Business Transformation bieten wir nicht nur Business Consulting, sondern stellen auch gleich die passende Unternehmenslösung bereit. Unsere Kunden erhalten Unterstützung von praxiserprobten Beratern. Sie verfügen über umfangreiches IT-Know-how und langjährige Erfahrung in den Bereichen Geschäftsstrategie und Entwicklung. So können wir gemeinsam mit Unternehmen individuell passende Produkte und Lösungen entwickeln. Nicht zuletzt sorgen auch unsere Best-Practice-Ansätze für eine schlankere, flexiblere Organisation.

Gerade die produzierende Industrie gilt als Taktgeber in Deutschland. In diesem Bereich gibt es einen starken Bedarf an fachkompetenter Beratung und industriespezifischen Technologielösungen. Hier unterstützt Infosys mit einem facettenreichen Leistungsportfolio.

TR: Einer der meist strapazierten Begriffe der letzten Jahre war die Industrie 4.0. Hat dieser "Hype" auch Ihr Geschäft beflügelt, und was bieten Sie Unternehmen, die sich fit für die Industrie 4.0 machen möchten?
Schürmann: Das Thema Industrie 4.0 steht bei vielen Unternehmen ganz oben auf der Agenda. Insbesondere Dienstleister, die sowohl starke IT- als auch Engineering-Abteilungen haben, können Unternehmen in puncto Industrie 4.0 unterstützen. Infosys ist hierbei mit 120.000 IT-Spezialisten und über 5.000 Maschinenbau- und Elektroingenieuren einmalig aufgestellt.

Es ist zu erwarten, dass die Entwicklungen mit Industrie 4.0 ganz neue Geschäftsmodelle hervorbringen und auch benötigen werden. Infosys ist dafür auf dem aktuellen Stand der Technik. Das zentrale Thema ist die IT-Transformation. Neben Fragen zur Industrie 4.0 blickt Infosys aber auch über den reinen "IT-Tellerrand" hinaus: Wir unterstützen sowohl auf organisatorischer als auch auf struktureller Ebene. Althergebrachte Geschäftsprozesse werden entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines Unternehmens kritisch hinterfragt und, falls nötig, neu definiert.

TR: Die Nutzung der Cloud ist sicherlich eine der Grundvoraussetzungen, um entscheidende Schritte hin zu einer "intelligenten Fabrik" machen zu können. Bei einer Befragung des VDI kam kürzlich heraus, dass rund die Hälfte der produzierenden Unternehmen die Cloud noch gar nicht nutzen. Wie leisten Sie in dieser Hinsicht Überzeugungsarbeit bei Ihren Kunden?
Schürmann: Unternehmen kommen nicht mehr an der Cloud vorbei. Dabei sollten sie aber nicht blind einem Trend hinterherlaufen sondern sich kritisch mit dem Thema auseinandersetzen. Zwar steigt mit Cloud und Mobility die Gefahr von Cyber-Attacken. Die Vorteile der Cloud überwiegen aber: nahezu unbegrenzter Datenspeicher, Skalierbarkeit, Agilität, vereinfachte Zusammenarbeit und Kostenkontrolle. So können heute auch mittelständische Firmen Anwendungen nutzen, die früher nur Großunternehmen zur Verfügung standen.

Infosys ist sich den Vor- und Nachteilen bei der Nutzung der Cloud bewusst - wir müssen Kunden nicht von der Notwendigkeit des Cloud Computings überzeugen. Wichtiger ist, ihnen dabei zu helfen, diese Technologie sicher zu nutzen. Generell befasst sich heute eine ganz neue Bandbreite an Unternehmen mit dem Thema Cyber Security - zum einen aufgrund der jüngsten Datenskandale, zum anderen, weil die Investitionskosten in entsprechende Technologien nicht mehr so hoch sind, wie sie es einst waren.

TR: Wie Sie bereits erwähnten, ist ein großer Hemmschuh beim Einsatz cloud-basierter Technologien das Thema IT-Sicherheit. Wie kann diese Ihrer Ansicht nach gewährleistet werden?
Schürmann: Mit dem Einzug des Internets der Dinge multiplizieren sich die Risiken, da weitaus mehr Geräte, Hardware und Software von Online-Kriminellen missbraucht werden. Vor diesem Hintergrund sind Unternehmen gut beraten, in innovative Cyber-Security-Lösungen zu investieren - dies berücksichtigt auch den strategischen Schutz der Shareholder Values. Das Thema Security sollte dabei klar als Managementaufgabe betrachtet werden.

Bei der Umsetzung sind neue Ansätze und Wege gefragt: Es gilt Allianzen zu bilden und entsprechend zu forschen, um sich rechtzeitig gegen Sicherheitslecks zu wappnen. Unternehmen sind dabei aufgefordert, sich über gesetzliche Vorgaben hinweg mit dem Thema auseinanderzusetzen und Strategien zu entwickeln, wie sie Cyber-Angriffe bestmöglich abwehren. Als einer der globalen Marktführer hilft Infosys ihnen in den Bereichen Business Consulting, Tech-Lösungen und Outsourcing. Erst kürzlich haben wir gemeinsam mit dem britischen Cyber Security Research Lab sowie der Wirtschaftsförderung der nordirischen Regierung ein Memorandum of Understanding unterschrieben. Unser gemeinsames Ziel ist es, neue Schutzmechanismen gegen Online-Kriminalität zu entwickeln. Zudem hat Infosys eine Partnerschaft mit der Queen's University in Belfast gebildet, um Projekte zur Erforschung und Bekämpfung von Cyber-Bedrohungen voranzutreiben.

TR: Der Begriff "Big Data" fällt immer wieder in Zusammenhang mit Industrie 4.0. Die so bezeichnete Datenflut kommt auch deshalb zustande, weil es in der intelligenten Fabrik einen Datenaustausch über vormals streng getrennte Unternehmensebenen wie Fabrik- und IT-Ebene hinweg, aber auch über Firmengrenzen hinaus - z.B. zwischen Produzenten und deren Zulieferern - gibt. Welche Angebote machen Sie, um dieser Datenmengen Herr zu werden und sie nutzbringend zu analysieren?
Schürmann: Unternehmen müssen schnell und flexibel branchenspezifische Anwendungen für große Datenmengen entwickeln können. Gleichzeitig ist es wichtig, dass der Geschäftsbetrieb flexibel und handlungsfähig bleibt. Infosys hat dazu eine Plattform entwickelt, die Firmen umfangreiche und schnelle Analysen ermöglicht. Sie ist für Business- und IT-Anwender gleichermaßen nutzbar.

Businessteams können ohne technisches Vorwissen umfassende Analysen vornehmen. Dazu dient ein Repository mit über 250 vorkonfigurierten Algorithmen und mehr als 50 Reporting-Optionen. Der Nutzer zieht die Algorithmen mittels Drag und Drop auf eine visuelle Benutzeroberfläche, wo er sie ohne Programmierkenntnisse konfigurieren kann. Neue Algorithmen können dynamisch erstellt werden.

Für Teams mit Technologie-Know-how stellt die Plattform weitere Funktionen zur Verfügung. Ein Beispiel ist das Visualisierungsmodul: Es enthält erweiterte Visualisierungsfunktionen in Form von fertigen maßgeschneiderten Dashboards und einem Repository mit über 50 Visualisierungstools für strukturierte und unstrukturierte Daten bereit. Analysten können bereits während der Untersuchung Visualisierungsoptionen erstellen.

Mit der Plattform erhält der Anwender innerhalb weniger Minuten einen Überblick über vorhandene Daten. So können Entscheidungen in Unternehmenssystemen in Echtzeit umgesetzt werden. Ferner haben Benutzer fach- und regionsübergreifend die Möglichkeit, sich über eine "Collaboration Wall" auszutauschen. Die dabei gewonnenen Informationen lassen sich durch integrierte Arbeitsabläufe in Echtzeit umsetzen.

Ein Anwendungsbeispiel ist die Analyse von Kaufdaten, die es Händlern ermöglicht, ihre Sortimente näher an dem tatsächlichen Kaufverhalten der Kunden zu planen und so Überproduktion und Verschwendung vorzubeugen. Zudem können interne Prozesse optimiert werden.

TR: Neben Ihrer Haupttätigkeit bei Infosys sind Sie auch Mitglied der BITKOM, einem Verband, der im Arbeitskreis Industrie 4.0 aktiv ist. Vor rund einem Jahr legte dieser Arbeitskreis auf der HANNOVER MESSE seinen Abschlussbericht vor. Wie sieht die weitere Arbeit dieser Initiative aus? Was sind die nächsten Ziele?
Schürmann: Das Thema Industrie 4.0 ist bei der BITKOM bereits etabliert - dies zeigt nicht zuletzt die erstmalige Teilnahme auf der diesjährigen Hannover Messe im Rahmen des Industrial User Forums. Wir erhielten viel positive Resonanz von Seiten der Fachbesucher.

Die BITKOM hat sich zur Aufgabe gemacht das Thema Industrie 4.0 ganzheitlich aufzugreifen. Ein Beleg dafür ist zum Beispiel die aktuelle Studie "Industrie 4.0 - Volkswirtschaftliches Potenzial für Deutschland". Die Studie wurde gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut verfasst. Im Fokus der Untersuchung lag die volkswirtschaftliche Dimension des Themas zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland.

Innerhalb der BITKOM ist der Kompetenzbereich zu Industrie 4.0 in 2013 auf drei Arbeitskreise ausgeweitet worden: Cyber Physical Systems, Markt und Strategie sowie Interoperabilität. Die BITKOM möchte mit ihrer Arbeit bestmögliche Rahmenbedingungen für die ITK-Industrie schaffen. Das betrifft insbesondere Normen, Standards, schnittstellenfreie Kommunikation, sowie Mindestanforderung an Datenschutz und Datensicherheit. Unverzichtbar ist dabei eine enge Interaktion zwischen der produzierenden Industrie und der IT-Industrie - nur gemeinsam lassen sich die Veränderungen, die die Industrie 4.0 mit sich bringt, bewältigen.

Vor diesem Hintergrund sind die nächsten Ziele die Fertigstellung der Arbeitskreisergebnisse (AK1-3) und die Veröffentlichung der jeweiligen Abschlussberichte.

TR: Die amerikanische Entsprechung zur Initiative Industrie 4.0 heißt "Advanced Manufacturing Partnership". Gibt es zwischen diesen beiden Gruppierungen im Hinblick auf ein gemeinsames Ziel einen Austausch, oder arbeitet, salopp gesagt, jeder abgeschottet vor sich hin, um eine mögliche "Marktführerschaft" zu erlangen?
Schürmann: Der Begriff Advanced Manufacturing Partnership ist uns als Entsprechung zur Industrie 4.0 nicht geläufig. Häufig wird "Internet of Things" mit Industrie 4.0 gleichgesetzt, was unserer Meinung nach aber nicht weit genug greift.

Infosys ist grundsätzlich ein global agierendes Unternehmen für global agierende Kunden - hier gibt es kein abgeschottetes Arbeiten, sondern einen regen Austausch über interne und externe Netzwerke. Insofern ist eine Zuordnung zu einer Gruppierung - Industrie 4.0 oder Advanced Manufacturing Partnership - bei Infosys nicht möglich. Wir sind nicht nur an der deutschen Diskussion rund um das Thema Industrie 4.0 beteiligt, sondern bringen uns grenz- und branchenübergreifend ein.

TR: Auch wenn der Weg zur Smart Factory vermutlich noch ein langer sein wird und eine Ideallösung noch in weiter Ferne liegt, so braucht doch jede bahnbrechende Technologie ein "Aha-Erlebnis", um auf eine breite Akzeptanz bei potenziellen Nutzern zu stoßen. Wann wird Industrie 4.0 Ihrer Ansicht nach dieser Durchbruch gelingen?
Schürmann: Die Industrie 4.0 wird in Teilen bereits genutzt und angewendet. Das Vertrauen in diese Technologie und die volle Ausschöpfung des Potenzials sind jedoch noch im Kommen. Doch nicht zuletzt die HMI 2014 hat gezeigt: Die Smart Factory ist näher als man denkt. Das belegen auch Beispiele wie Bosch Software Innovations. Das Unternehmen konzipiert und entwickelt bereits heute Software- und Systemlösungen für das Internet of Things.