IEN D-A-CH: Herr Niermann, Sie sind Leiter der Linear- und Antriebstechnik und haben den neuen Geschäftsbereich Low-Cost-Automation Anfang des Jahres gegründet. Was fällt bei Ihnen in den Bereich Low-Cost-Automation? Und warum haben Sie den Bereich nicht Robotics genannt?
Niermann: Wir haben den Bereich bewusst Low-Cost-Automation genannt, um zwischen Automatisierungslösungen und Robotics zu differenzieren. Heutzutage wird der Begriff Robotik sehr unterschiedlich verwendet. Von einigen Instituten wird ein jährlicher Bedarf von 50 Millionen Robotern in der Zukunft geschätzt. Hierzu zählen allerdings auch Roboter aus dem Servicebereich, wie Staubsauger- oder Rasenmähroboter. Um uns von diesen Anwendungen abzugrenzen und uns rein auf die Industrieautomatisierung zu beziehen, halten wir den Begriff Low-Cost-Automation für bestens geeignet. Man könnte Ihn auch Industrierobotik nennen. Hier gibt es Bedarfe von bis zu 500.000 Stück pro Jahr, wenn man den verschiedenen Quellen und Statistiken glauben darf. In diesem Marktsegment liefert igus schon seit vielen Jahren Automatisierungslösungen. Anfang des Jahrtausends haben wir begonnen mit kartesischen Robotern den Markt zu bedienen. Seit einiger Zeit sind auch Delta Kinematiken im Programm enthalten. Dies war bisher alles im Bereich der Linear- und Antriebstechnik zu finden. Parallel dazu haben wir uns seit dem Jahr 2009 mit Gelenkarmrobotern und Gelenkarmkinematiken beschäftigt. Dieser Unternehmensbereich unter dem Namen „robolink“ wurde jetzt mit den anderen Automatisierungslösungen in einer neuen Business-Unit vereint. Der neue Geschäftsbereich Low-Cost-Automation bietet dem Kunden jetzt den Vorteil unsere Produktpalette besser zu überblicken und sich lösungsorientiert entweder für kartesische Roboter, Deltakinematiken oder Gelenkarmroboter zu entscheiden. Bei allen drei Roboterkinematiken steht die Idee des Low-Cost im Vordergrund. Industrierobotik startet normalerweise bei 15.000 €, wir können schon Lösungen ab 2.000 € anbieten. Diese sind auf Grund der Kunststofflösungen möglich. Für unsere Kunden, gerade im Mittelstand oder auch bei Kleinunternehmen, reduziert dieser Einstiegspreis das Investitionsrisiko. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein kleiner metallverarbeitender Betrieb, weit abseits einer Metropole, bekommt einen größeren Auftrag für Messingdrehteile. Diese müssen im Nachhinein noch bedruckt und verpackt werden. Drehen und Fräsen ist die wertschöpfende Arbeit, die dieses Unternehmen sehr wahrscheinlich mit Fachkräften realisiert. Für das Drucken und Verpacken des Auftrags, der eventuell über 18 Monate läuft, müsste jetzt eine weitere Person eingestellt werden. Hier kann die Automatisierung helfen. Mit niedrigen Einstiegskosten kann eine komplette Montage ca. für 35.000 – 40.000 € aufgebaut werden, die dann 24h am Tag Ihre Arbeit verrichten kann. Der Amortisationszeitraum für diese Montagezelle kann dann mit etwa 6 Monaten angenommen werden. Eine lohnende und wenig risikobehaftete Investition, die das Unternehmen wettbewerbsfähig hält.
IEN D-A-CH: Was ja natürlich auch ein wichtiger Punkt ist: Man muss den Roboter am Ende zum eigenständigen Arbeiten bewegen. Wie sieht es denn mit der Programmierung aus?
Niermann: Wir konzentrieren uns auf die Roboterkinematiken, die wir möglichst kostengünstig herstellen. Die Getriebe und Gelenke sind alle mit schmiermittelfreien Kunststoffkomponenten ausgestattet und sehr langlebig. Von uns bekommt der Kunde einen günstigen, leichten und schmiermittelfreien Roboterarm, hauptsächlich hergestellt aus Kunststoff. Die Programmierung bzw. Integration in eine Montagestraße kann von uns nicht vorgenommen werden. Die Integrationsleistung muss von einem Integrator oder von dem Kunden selbst übernommen werden. Ab dem 01.04, also gleichzeitig mit dem Start der Hannover Messe, stellen wir aber eine neue Onlineplattform vor. Unter der Adresse rbtx.com finden unsere Kunden und Interessenten Userstorys bereits realisierter Automatisierungslösungen. Zudem ist es möglich, unsere Roboter mit verschiedenen Komponenten auszustatten. Dazu gehören Greifer, Pneumatiksauger, Kameras und viele mehr. Die Konfiguration auf der Plattform garantiert dem Kunden, dass die ausgewählten Komponenten zueinander passen und bereits in einer Anwendung realisiert wurden.
IEN D-A-CH: Ist da auch die Idee, in einem bestimmten Maße Integrationsleistung anzubieten?
Niermann: In erster Linie richtet sich die Plattform an Kunden, die mit eigenen Teams oder Mitarbeitern eine Integrationsleistung übernehmen können. Gleichzeitig können natürlich auch Integratoren sich auf der Plattform bedienen und Ihren Kunden maßgeschneiderte Lösungen bieten. Da es sich bei rbtx.com um eine Plattform handelt, ist diese natürlich offen für alle möglichen und sinnvollen Leistungen. Es wäre wünschenswert, wenn ein Netzwerk von Integratoren, filterbar nach Postleitzahl, sich für diese Plattform interessieren und Ihre Leistungen anbieten. Wir werden sehen, was die nahe Zukunft bringt.
IEN D-A-CH: Und wo würden Sie sagen wäre in etwa die Preisschwelle für den Kunden, wenn er in den Bereich Low-Cost-Automation von igus einsteigen will?
Niermann: Mit 1.500 € für ein Portal starten wir in den Bereich der Automatisierungslösungen. Für größere Raumportale, und dabei rede ich von einem Arbeitsraum von 1.000x1.000 mm und einer Höhe von 500 mm, kann ein Portal auch schonmal bis zu 3.000 € kosten, ausgerüstet mit 3 Schrittmotoren. Ist man eher auf der Suche nach einer schnellen „Pick and Place“ Lösung, sollte man sich für den Deltaroboter entscheiden. Ab 3.400 € gibt es diesen als Bausatz online bestellbar. Möchte man den Deltaroboter komplett aufgebaut mit Motor und Steuerung erwerben, liegt diese Lösung bei 5.000 €. Auch unsere Gelenkarmroboter starten im Bereich von 3.000 €. Für 5.000 € kann ich einen Roboterarm inklusive Steuerung und intuitiven Touchdisplay bekommen. Diese Variante ist unter anderem sehr interessant für Schul- und Trainingsaktivitäten, da man Simulationen mit 4 oder 5 Freiheitsgraden für ein geringes Budget realisieren kann.
IEN D-A-CH: Ja genau das ist ja auch die Herausforderung, wenn man seine Expertise nicht im Roboterbereich hat: Aus der Vielfalt das auszusuchen, was passen könnte, ohne schlechte Erfahrungen machen zu müssen. Daher ist es natürlich sinnvoll, die Kunden mehr an die Hand zu nehmen. Oft hat man auch ganz andere Vorstellungen davon, was Robotik ist. Zum Beispiel bestellt man die Gelenke aus Kunststoff. Aber was kommt noch dazu, damit es Robotik wird?
Niermann: Das ist eine interessante Frage, die wir auch am Anfang unseres Gespräches schonmal angerissen haben. Auf der Hannover Messe haben wie diesem Thema einen besonderen Platz eingeräumt, um dazu mit unseren Kunden und möglichen Partnern ins Gespräch zu kommen. Dort haben wir 16 Anwendungsfälle ausgestellt, gemeinsam mit unseren Partnern - u.a. Schunk, Schmalz, Beckhoff, IFM aber auch Amazon Robotics – und viele interessante Gespräche geführt. Anhand dieser Beispiele konnten wir zeigen, welche Automatisierungslösungen auch mit günstigen Kunststofflösungen eine Chance haben. Wer dann welche Automatisierungslösung als Robotik bezeichnet, bleibt abzuwarten. Erste konkrete Ergebnisse aus den Messegesprächen werden wir sicher in Kürze umsetzen können, der Abstand zur Messe ist ja noch sehr kurz. Wir werden aber auch in Zukunft definitiv keine selbstfahrenden Staubsauger zeigen.
IEN D-A-CH: Herr Niermann, wir bedanken uns für das Gespräch!