IEN D-A-CH: Im Jahre 2014 lautete das Motto der HANNOVER MESSE "Integrated Industry - Next Steps", dieses Jahr heißt es "Integrated Industry - Join the Network!" Was gibt es 2015 inhaltlich Neues zu diesem Thema?
Siemering: In den vergangenen Jahren sind zahlreiche neue Technologien und Prozesse zur Selbstverwaltung sogenannte "intelligenter Fabriken" entwickelt worden. 2014 lag daher der Schwerpunkt von "Integrated Industry - Next Steps" auf dem Aspekt, wie all diese Komponenten zusammengefügt warden können - Daten, Hardware, Software, Sensorik, Visualisierung, etc. -, um ein Maximum an Ressourcen-, Energie- und Kosteneffizienz zu erzielen. "Integrated Industry - Join the Network!" ist die Aufforderung an alle Beteiligten in der Fertigungskette, untereinander Netzwerke zu bilden, die Zusammenarbeit zu verbessern und die Produktion zu optimieren. Technologie ist wichtig, aber genauso wichtig ist es, wie alle Organisationen - Produzenten, Zulieferer, Logistikunternehmen, Kunden, etc. - in einem Fertigungssystem zusammenarbeiten. Nur wenn diese Netzwerke wirklich existieren, werden wir eine wahre integrierte Industrie erzielen können.
IEN D-A-CH: Was sind Ihrer Ansicht nach die größten Herausforderungen, um Industrie 4.0 auf eine neue Ebene zu bringen?
Siemering: Wir sehen drei Haupt-Herausforderungen: (1) Die Entwicklung internationaler Standards, und zwar Industrie übergreifend über die Grenzen von Elektrotechnik, Maschinenbau und IT hinweg (2) Die Bildung von Netzwerken zur Gewährleistung von Datensicherheit (3) Die Definition der Rolle des Menschen in der integrierten Industrie. Die HANNOVER MESSE bietet eine Reihe von Foren, die genau diese Themen behandeln werden.
IEN D-A-CH: Legt man den sogenannten "IT Innovation Readiness Index" zugrunde, so lehnen 40 % der deutschen mittelständischen Unternehmen der Fertigungsindustrie Cloud Computing als geeignetes Mittel der Datenspeicherung ab. Allerdings ist Cloud Computing integraler Bestandteil von Industrie 4.0. Denken Sie, dass diese massiven Bedenken und die Skepsis im Hinblick auf die Datensicherheit überwunden werden können, oder sind Sie der Ansicht, dass die Integrated Industry durch diese Haltung verhindert wird?
Siemering: Ich bin zuversichtlich, dass kleinere und mittelgroße Unternehmen ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Thema Cloud Computing bald ablegen werden. Im Consumer-Bereich ist dies ja bereits der Fall, wo Firmen wie Airbnb, Amazon, Google, Spotify, und Uber die Cloud bereits nutzen, um althergebrachte Geschäftsmodelle hinter sich zu lassen. Auch in diesen Industrien ist Datensicherheit enorm wichtig, aber die Vorteile dieses vernetzten Ansatzes überwiegen die Nachteile bei weitem. Schließlich und endlich werden sich die Hersteller an Industrie 4.0 anpassen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Integrated Industry wird Wirklichkeit werden, dies ist nur eine Frage der Zeit.
IEN D-A-CH: Was kann die HANNOVER MESSE in diesem Zusammenhang leisten, um Vertrauen zu schaffen?
Siemering: Die HANNOVER MESSE ist der Fackelträger für Industrie 4.0. Wir haben jetzt in drei aufeinanderfolgenden Jahren dieses Thema in den Mittelpunkt gerückt, und in jedem Jahr zeigt die Messe die Fortschritte der zurückliegenden 365 Tage. So ist HANNOVER MESSE nicht nur die weltweite Leistungsschau für Produkte und Dienstleistungen, sondern auch die Kommunikationsplattform für alle Beteiligten, einschließlich Herstellern, Anwendern, Entwicklern, Gesetzgebern, Gewerkschaften und Politikern. HANNOVER MESSE ist der Ort, an dem diese Gruppen über die Herausfordeungen, Themen und Möglichkeiten diskutieren, aus denen sich dann zukünftige Entscheidungen ableiten. Beispielsweise wird am Dienstag, 14. April, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die deutschen Pläne auf der HANNOVER MESSE 2015 darlegen und 250 Gäste aus Asien, Europa und den USA zur Zusammenarbeit ermuntern.
IEN D-A-CH: Sind Sie mit der bisherigen Anzahl an Ausstellern zufrieden?
Siemering: Ja. Wir erwarten in etwa die gleiche Ausstellerzahl (6.400) wie 2013, dem letzten Referenzjahr mit einem ähnlichen Format. Besonders freut uns, dass die großen Robotik-Firmen wieder auf der HANNOVER MESSE ausstellen. KUKA kam bereits 2014 zurück, und in diesem Jahr ist auch Fanuc aus Japan dabei, so dass die Besucher die neueste Roboter-Generation in Aktion sehen können.
IEN D-A-CH: Was würden Sie im Bereich Industrial Automation als Highlights hervorheben, und welches sind die anderen Trendthemen außer Integrated Industry?
Siemering: Industrial Automation ist die weltweite Leitmesse für die Fertigungs- und Prozessindustrie, und die Digital Factory ist die globale Leistungsschau für industrielle IT. In diesen Bereichen haben wir sehr viele Highlights. Zum Beispiel gibt es den "Application Park Robotics, Automation & Vision", der Robotik-Hersteller, Systemintegratoren und Bildverarbeitungsunternehmen beherbergen und zahlreiche Live-Demonstartionen bieten wird. DFKIs Smart Factory wird eine komplette Produktionslinie aus der Fabrik der Zukunft abbilden. Andere interessante Bereiche sind die "Integrated Assembly Solutions", "Mobile Robots & Autonomous Systems" sowie "Wireless, M2M & IoT". Foren rund um die Themen Automation, Industrial IT, Laser Technology und Automation in den Life Sciences. Die MES Konferenz am 16. April wird erfolgreiche Projekte aus der diskreten und der Prozessindustrie vorstellen. Zusätzlich haben wir die geführten Touren "Automation & IT" und "Industrie 4.0".
IEN D-A-CH: 2015 ist wieder ein Motion, Drive and Automation (MDA) Jahr. Welches sind hier die Hauptthemen, und wie warden diese auf dem Messegelände abgebildet?
Siemering: Power Transmission und Steuerungstechnologien ermöglichen die Integration von Steuerungs- und Produktionsprozessen und erzielen auf diese Weise hohe Produktivitätssteigerungen, also ist Industrie 4.0 auch ein Hauptthema der MDA. Andere wichtige Themen sind Energieeffizienz und Nachhaltigkeit, Condition Monitoring Systeme, Total Cost of Ownership und Lebenszykluskosten. Zum Beispiel wird ARGO-HYTOS will seine Online Condition Monitoring Systeme demonstrieren, die kontinuierlich den Maschinen-, System- und Systemkomponentenstatus in Echtzeit analysieren und so eine wichtige Grundlage für die zustandsorientierte Instandhaltung liefern. Bosch Rexroth wird sein intelligentes hydraulisches und elektromechanisches Antriebs- und Steuerungssystem vorstellen, das auf der neuen Open Core Interface Technologie basiert, die kundenspezische Steuerungsfunktionen erlaubt, wie beispielsweise die Einbindung von mobilen Geräten zum vereinfachten Betrieb und Diagnose. Außerdem liegt die MDA räumlich angrenzend zu den Messen MobiliTec und Wind - zwei Industrien, bei denen es sehr auf Power Transmission und Steuerungstechnologie ankommt. HANNOVER MESSE bietet also einen umfassenden, sektorübergreifenden Überblick in Sachen Antriebstechnik.
IEN D-A-CH: Mit Indien ist ein Land offizielles Partnerland der HANNOVER MESSE, das zu den aufstrebenden Wirtschaftsnationen gezählt wird. Wie viele Aussteller werden aus Indien an der Messe teilnehmen, wie warden sie sich präsentieren, und was würden Sie als die spezifischen Stärken der indischen Industrie herausheben?
Siemering: Indien ist eine der weltweit am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften mit einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 10 Prozent in der letzten Dekade und einem gegenwärtigen Wachstum von fünf Prozent. Premierminister Narendra Modi möchte sein Land zu einer wirtschaftlichen Großmacht machen. Seine "Make in India" Initiative zielt darauf ab, Hindernisse wie Bürokratie, Fachkräftemangel und Korruption zu beseitigen und die Wirtschaft zu liberalisieren und Public-Private-Partnership-Initiativen zu befördern, die Infrastruktur des Landes auszuweiten, die Produktion zu modernisieren und ausländische Investoren anzuziehen. Indiens nationale Produktionspolitik ordnet eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts von 16 auf 25 Prozent im Jahr 2022 an, und McKinsey sagt eine Versechsfachung des indischen Produktionssektors auf eine Billion Dollar bis 2025 voraus. Viele Experten sind der Auffassung, dass Indien dabei ist, in die Top-Liga der führenden produzierenden Nationen vorzustoßen, besonders da die Produktions- und Lohnkosten in China gestiegen sind. Allerdings müssen sich indische Unternehmen in Bereichen wie Produktentwicklung, Lieferketten-Management und Qualitätskontrolle noch verbessern. Auf der HANNOVER MESSE beschaffen sich indische Unternehmen moderne Maschinen, Ausrüstung und Produkte die sie benötigen, um wettbewerbsfähig zu sein. Gegenwärtig gehören nur Deutschland und die Schweiz zu Indiens Top Ten Handelspartnern. HANNOVER MESSE ist der perfekte Ort für andere europäische Länder, um mehr über den indischen Markt zu erfahren. Wir erwarten annähernd 350 ausstellende Firmen aus Indien auf der HANNOVER MESSE 2015. Der zentrale indische Pavillion wird in Halle 6 sein, andere Pavillions werden über das Messegelände verteilt sein. Die Highlights der indischen Messeauftritts werden "Make in India" und der Besuch des indischen Premierministers Modi auf der HANNOVER MESSE sein, zugleich sein erster Deutschlandbesuch als neuer Premierminister. Er wird am 12. April die Mess emit Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnen, und er wird eine Delegation von 90 Top-CEOs indischer Unternehmen mitbringen.
IEN D-A-CH: Neben der eigentlichen Ausstellung: Welche anderen Events werden noch sehenswert sein?
Siemering: Wir haben ein komplettes Programm an Foren, Podiumsdiskussionen und geführten Touren in allen Bereichen der Messe. Zum Beispiel gibt es das Industrie 4.0 Forum und die geführte Industrie 4.0 Tour. Ich empfehle Ihren Lesern, sich unter www.hannovermesse.com einen Überblick über die Messe sowie das komplette Rahmenprogramm zu verschaffen.