Mittagsruhe auf Deck 14. Während sich einige der fast tausend Passagiere in der Sonne räkeln, dreht sich ein paar dutzend Meter unter ihnen die neun Meter große Schiffsschraube im Wasser. Der Motor beschleunigt das Kreuzfahrtschiff kaum hörbar auf 20 Knoten. Das Gefährliche: Durch den Kurbelantrieb des Dieselmotors entsteht ein ungleichmäßiges Drehmoment. Es generiert Schwingungen, die unter anderem an das Getriebe und die Schiffsschraube übertragen werden. Diese Schwigungen können sich selbst verstärken und eine gewaltige Zerstörungskraft entfalten, bis hin zum Brechen der Kurbelwelle. Ein Motorausfall auf hoher See kann jedoch fatal ausgehen, bei einem Kreuzfahrtschiff genauso wie bei einem Tanker oder Containerschiff. Dies zu verhindern, ist Aufgabe der hochelastischen Kupplungen des Herstellers Vulkan.
Eine ganze Abteilung beschäftigt sich an dessen Hauptsitz in Herne, Ruhrgebiet, mit Drehschwingungsberechnungen. In dem verglasten Neubau entwickeln die Mitarbeiter für jedes Schiff die passende Konstruktion. Allen Kupplungen gemeinsam ist, dass sie aus einer Metall-Gummi-Kombination bestehen. Diese dämpft Schwingungen ab und ermöglicht zudem axiale und radiale Verlagerungen zwischen Motor und Getriebe. Welche der zahlreichen Gummimischungen für die Vulkanisation verwendet wird, hängt ab von der Motorleistung, der jeweiligen Schiffskonstruktion und den Anforderungen, die an das Schiff gestellt werden.
Schnellere Prozesse für ein bewährtes Produkt
Zu den umsatzstärksten Produktlinien bei Vulkan zählen die hochelastischen RATO S Kupplungen, deren Vorgängermodell bereits vor rund 30 Jahren ins Produktportfolio aufgenommen wurde. In den vergangenen Jahren stiegen jedoch die Produktionskosten. Deshalb beauftragte das Unternehmen Andreas Ladwig damit im Zusammenhang mit seiner Masterarbeit ein Konzept zur Prozessoptimierung zu entwickeln.
40 Produktvarianten zu digitalisieren
Ein zentraler Bestandteil des Optimierungsprozesses war eine Bestandsaufnahme der Vulkanisationswerkzeuge sowie der Gussteile. Letztere kommen von Tochtergesellschaften und Zulieferern und werden bei Vulkan weiterverarbeitet. Ladwig: "Wir haben bei der Produktlinie RATO S über 40 Varianten und Baugrößen. Um deren Geometrie mit Messschiebern aufzunehmen, hätten wir Jahre gebraucht." Eine schnellere und zudem genauere Vorgehensweise war gefragt. Der Messraum befand sich jedoch in einer anderen Halle und war bereits stark ausgelastet. Zudem waren die Vulkanisationswerkzeuge zu schwer, um sie ohne weiteres dorthin transportieren zu können. Ein Vorschlag von Ladwigs Kollegen aus der Abteilung Prozessoptimierung brachte die Lösung: Auf einer Hausmesse zur 3D-Messtechnik hatte dieser einen Laserscanner entdeckt. Ladwig war angetan: Solch ein Gerät benötigte er, um Gussteile und Werkzeuge zu digitalisieren und dann den Ist-Zustand mit den bestehenden technischen Zeichnungen abgleichen zu können. Er und seine Kollegen testeten mehrere Laserscanner. Als Favorit zeichnete sich das ursprünglich entdeckte Gerät ab: der Laserscanner T-SCAN CS von Zeiss.
In Echtzeit
"Die Schnelligkeit und die enorm hohe Präzision haben mich von Anfang an begeistert", sagt Ralf Redecker, Mitarbeiter Vulkanisation. Er ist derjenige, der sämtliche Digitalisierungsaufgaben mit dem Laserscanner bei Vulkan übernommen hat. Nach zwei Tagen Schulung erfasste er bereits selbstständig das erste Vulkanisationswerkzeug: "Als gelernter Maler und Lackierer habe ich diese Handbewegung im Blut". Und tatsächlich führt er den Zeiss T-SCAN CS mit einer Leichtigkeit über die Werkstückoberfläche als würde er routiniert einen Pinsel schwingen. Beinahe unnötig ist für Redecker mittlerweile die akustische und optische Distanzanzeige, die das Messgerät bietet: Wenn der rote Laserstrahl den grünen Lichtpunkt auf der Oberfläche trifft, befindet sich das Gerät im optimalen Abstand zum Werkstück und generiert bis zu 330 Aufnahmen pro Sekunde. Ist dies der Fall, erfasst der Laser die Topographie des Werkstücks in Form von Punktewolken mit 210.000 Einzelpunkten pro Sekunde. Aus diesen Punktewolken generiert die Datenaufnahme-Software Zeisscolin3D ein 3-D-Modell des Werkstücks. In Echtzeit entsteht es während des Scanvorgangs allmählich am Bildschirm. So sieht Redecker genau, welche Abschnitte er bereits gescannt hat und kann so das Werkstück lückenlos digitalisieren. Die Messungen führt der Lackierer aktuell direkt in der Fertigungshalle durch, unweit der Vulkanisationsmaschinen.
Ergebnisse auf einen Blick
Bereits nach wenigen Wochen hatte Redecker mit dem Laserscanner mehrere Werkzeuge und die ersten Gussteile digitalisiert. Während der Vulkanisationsmitarbeiter für die Erfassung der Daten zuständig ist, liegt die Auswertung bei Ladwig. Er hatte eine Schulung zum Umgang mit der Inspektionssoftware INSPECTplus von Zeiss erhalten. Das Programm veranschaulicht, ob beziehungsweise inwieweit Scan und CAD-Modell übereinstimmen oder auch inwieweit ein Scan von dem eines anderen Werkstücks abweicht. Rote Bereiche signalisieren in diesem Soll-Ist-Vergleich zu viel Material, blaue Bereiche zu wenig. Die Bedienung war für den Maschinenbau-Ingenieur kein Hexenwerk: "Die Software funktioniert wie ein leicht abgewandeltes CAD-Pro-gramm. Und die Ergebnisse erkennt man auf einen Blick." Als der Tag näher rückte, an dem die Miete für den Zeiss T-SCAN CS auslief, war die Entscheidung für den Kauf des Gerätes längst gefallen. Und die Optimierung schritt voran: Ladwig und seine Kollegen verglichen die CAD-Modelle mit den Scans und aktualisierten dann die "alten" CAD-Modelle. Den Gusslieferanten schickten sie die neuen Zeichnungen beziehungsweise CAD-Modelle, die diese fortan als Vorlage für den Formenbau nutzten. Die "neuen" Gussteile unterzogen sie per Laserscan einer Erstmusterprüfung, ein Prozess, der derzeit noch läuft: Redecker scannt das Erstmuster, Ladwig erstellt den Prüfbericht mit der Software ZEISS INSPECTplus. Auf dieser Basis erkennt der Zulieferer auf Anhieb, inwieweit das Gussteil den Soll-Geometrien entspricht. "Es geht wahnsinnig schnell", betont Ladwig, "Wenn Ralf vormittags scannt und ich nachmittags Zeit für die Analyse habe, bringen wir das Teil in einem Arbeitstag durch den Erstmusterprüfbericht. Früher hätten wir dafür Wochen gebraucht."
Ausschuss reduziert
Während sich die Erstmusterprüfung für die über 40 Varianten der Produktgruppe RATO S derzeit in der Endphase befindet, konnten die Vulkanisationswerkzeuge bereits vollständig digitalisiert und überarbeitet werden. Schon jetzt zeichnet sich der Erfolg des Optimierungsprozesses ab: Die Ausschusszahlen bei den Kupplungskomponenten sind stark gesunken, ebenso wie der Aufwand für die Nacharbeit. Mussten die Mitarbeiter vor der Optimierung Gussteile erneut aufspannen und nachbearbeiten, damit die Maße stimmten, spart sich Vulkan dies nun fast vollständig. "Wir bekommen die Teile dieser Produktlinie jetzt flüssig durch die Produktion", freut sich Ladwig. Und doch hat die Arbeit für ihn, für seinen Kollegen Redecker und ihren Laserscanner erst begonnen. Denn RATO S ist nur der Anfang. Schließlich sind die Produktlinien und Varianten der Kupplungen bei Vulkan beinahe so vielfältig wie die Anzahl der Schiffstypen auf den Weltmeeren. Und auch Ladwigs Kollegen aus anderen Abteilungen zeigen bereits Interesse an den Möglichkeiten, die der Laserscanner bietet. Demnächst möchte das Unternehmen deshalb noch weitere Mitarbeiter im Umgang mit dem Zeiss T-SCAN CS schulen.