Edge- und Cloudsysteme gewinnen an Bedeutung für die zuverlässige Steuerung hochdynamischer Produktionssysteme, jedoch fehlt es auch heute noch an entsprechender Ausrüstung und Infrastruktur, um bestehende Maschinen und Anlagen entsprechend der erforderlichen industriellen Anforderungen dauerhaft in digitale IT-Landschaften zu integrieren. Zu diesem Zweck entwickelt das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT aus Aachen gemeinsam mit Partnern aus Maschinenbau, Netzwerktechnik und Robotik nun eine durchgängig echtzeitfähige Kommunikationsinfrastruktur auf der Basis von 5G-Mobilfunktechnologie und Time Sensitive Networking (TSN).
Für den schnellen und zuverlässigen Datenaustausch im 5G-Produktionsnetzwerk setzen die Aachener Forschungspartner im Projekt »5G-Comet« auf eine Reihe von Standards, die zusammengefasst als Time Sensitive Networking (TSN) bezeichnet werden: Diese ermöglichen eine Datenübertragung mit sehr geringen Latenzen und hoher Verfügbarkeit und wurden von der Time-Sensitive Networking Task Group, einer Arbeitsgruppe des Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE), erarbeitet. Die Partner im Projekt 5G-Comet wollen die ursprünglich für kabelgebundene Netze entwickelten TSN-Standards nun mit der 5G-Mobilfunktechnologie in einem echtzeitfähigen Gesamtsystem kombinieren. Ziel ist eine hochverfügbare, zuverlässige und sichere Kommunikation aller Komponenten und Module: von der Sensorik und Aktorik auf Feldebene über 5G-Netze und Ethernetverbindungen bis in die Fraunhofer Edge Cloud (FEC).
Einheitliche Kommunikationsinfrastruktur mit und ohne Kabel
Die Fraunhofer Edge Cloud fungiert im 5G-Produktionsnetzwerk als Steuerzentrale für alle angeschlossenen Systeme: Die Daten sämtlicher Komponenten im Netzwerk laufen hier zusammen. Die hohen Speicher- und Rechenkapazitäten der Cloud, der schnelle Datentransfer zwischen 5G und Ethernet sowie die zuverlässigen Schnittstellen ermöglichen dann, dass die zahlreichen Einzelprozesse innerhalb des Netzwerks nicht mehr lokal gesteuert werden müssen, sondern cloudbasiert. So können mit speziell programmierten virtuellen Anwendungen echte Prozessketten adaptiv aufeinander abgestimmt werden. Damit dies verlässlich funktioniert, kombinieren die Aachener Forschungspartner den TSN-Standard für Ethernet nun auch mit 5G, sodass das gesamte Produktionsnetzwerk über eine einheitliche Kommunikationsinfrastruktur verfügt. Die standardisierten Schnittstellen zwischen dem mobilen und dem kabelgebundenen Netz sollen sich damit positiv auf die Zuverlässigkeit der Datenübertragung auswirken.
Erste Anwendungen in Erprobung
Erste Anwendungsszenarien erproben die Aachener Forschungspartner für Echtzeit-Steuerung von roboterunterstützten Laserbearbeitungs- und Montageprozessen: Im Anwendungsfall der Laserbearbeitung versieht ein Roboter mit einem Spezialwerkzeug komplexe dreidimensionale Oberflächen mit Texturen, Gravuren oder Markierungen. Die exakte Position des Roboters und des Laserwerkzeugs im laufenden Betrieb zu ermitteln und beide Komponenten präzise anzusteuern, erfordert hohe Rechenkapazitäten. Das durchgängige TSN-Netzwerk mit der latenzarmen Datenübertragung bis in die Fraunhofer Edge Cloud stellt sicher, dass alle erforderlichen Einzelsysteme schnell und ohne Verzögerungen aufeinander reagieren können. Die kabellose Anbindung der Werkzeugsensorik mit 5G und die ausgelagerte Steuerung in der Fraunhofer Edge Cloud erlauben zudem einen modularen und flexiblen Einsatz des Werkzeugs.
Montageanlagen mit kooperierenden Robotern, die eine Montageaufgabe gemeinsam bearbeiten, bilden ein weiteres Anwendungsszenario ab: Wurden bisher die Steuerungen kooperierender Roboter mit großem Hardwareaufwand unmittelbar untereinander verbunden, lassen sich die erforderlichen Rechenprozesse zukünftig in die Fraunhofer Edge Cloud auslagern. Sämtliche Berechnungen der Roboterbahnen können dort ausgeführt und die Ergebnisse in das Robotersystem zurückgeführt werden. Die Einbeziehung der TSN-fähigen Netzwerkkomponenten stellt dafür eine durchgängige und zuverlässige Synchronisierung und Verbindung der einzelnen Systeme bereit.
5G-Industry Campus Europe als Testumgebung für das 5G-Comet-Forschungsprojekt
Mit dem 5G-Industry Campus Europe ging im Mai 2020 Europas größte 5G-Forschungsinfrastruktur ans Netz. In insgesamt sieben Teilprojekten werden unterschiedliche Anwendungsszenarien von 5G-Sensorik für die Überwachung und Steuerung hochkomplexer Fertigungsprozesse über mobile Robotik und Logistik bis hin zu standortübergreifenden Produktionsketten untersucht. Außerdem testen die Aachener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Einsatz moderner Edge-Cloud-Systeme zur schnellen Verarbeitung von Daten, um die Potenziale von 5G in der vernetzten, adaptiven Produktion auszuschöpfen.
Der 5G-Industry Campus Europe bietet auch für die Anwendungsfälle des Forschungsprojekts 5G-Comet eine vollausgestattete Testumgebung: »Die 5G-Infrastruktur mit dem einen Quadratkilometer großen Outdoor und mehreren Indoor-Netzen bietet perfekte Voraussetzungen, zeitkritische Anwendungsfälle, die hohe Anforderungen an Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und Latenz stellen, zu testen und zu erproben. Die Kommunikation zwischen den jeweiligen Einzelsystemen und der Fraunhofer Edge Cloud kann in diesem bereits geschaffenen Umfeld umfassend erprobt werden«, sagt Niels König vom Fraunhofer IPT.
Das Projekt 5G-Comet wird für zwei Jahre aus den Mitteln des Landes NRW durch das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie mit dem Förderkennzeichen 005-2008-0093 gefördert.
Die folgenden Firmen und Einrichtungen sind Teil des Projektkonsortiums:
Ericsson GmbH, Herzogenrath
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT, Aachen
German Edge Cloud GmbH & Co. KG, Eschborn
Hirschmann GmbH, Neckartenzlingen
ISEK Lehr und Forschungsgebiet Informationstheorie und Systematischer Entwurf von Kommunikationssystemen, Aachen
Meastream GmbH, Eschweiler
Mitsubishi Electric Europe B.V., Ratingen
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, Aachen
SMS Group GmbH, Düsseldorf
Utimaco GmbH, Aachen
Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen