2010wird.de: Herr Professor Jänicke, angesichts schwindender Ressourcen, Klimaerwärmung und der gegenwärtigen Finanzkrise sei die Frage gestattet: Sind wir noch zu retten?
Jänicke: Da fangen Sie mit der schwierigsten Frage gleich an. Die Antwort Nein verbietet sich ja allein aus ethischen Gründen. Ich beschäftige mich als Politikberater seit 1974 mit Umweltpolitik und Ökologie, u.a. für das Bundeskanzleramt. Das ist eine lange Zeit, aber es hat seither wirklich noch nie eine Situation gegeben mit so ambivalenten Entwicklungsmöglichkeiten: Durch den Klimawandel können unsere ökologischen und ökonomischen Lebensgrundlagen wirklich kaputt gehen. Und wir sind jetzt erst bei 0,8 Grad Erwärmung. Und selbst die beim Klimagipfel im Dezember in Kopenhagen diskutierten Ziele reichen bisher erst für eine langfristigen Erwärmung von immer noch 4 Grad.
2010wird.de: Also sind Sie eher pessimistisch?
Jänicke: Nein, das heißt es gerade nicht. Denn gleichzeitig haben wir heute ungeheure technische und zunehmend auch biotechnische Potenziale zu Verfügung, um die Situation einigermaßen in den Griff zu kriegen. Wir stehen also wirklich an einer radikalen Weggabelung: Eine Richtung führt in den Abgrund und die andere zur Lösung der Probleme.
2010wird.de: Die grüne Wende ist das beherrschende Thema in den Feldern Unternehmenspolitik, Technologie und Forschung. In Ihrem aktuellen Buch „Megatrend Umweltinnovation“ beschreiben Sie die Notwendigkeit zum Umdenken. Sind ökologisch nachhaltiges Wirtschaften und Energieeffizienz heute der Schlüssel für unternehmerischen Erfolg?
Jänicke: Ja. Das ist eine Form der Produktivitätssteigerung, die konkurrenzlos ist. Die hundert Prozent an Rohstoffen, die wir zur Produktion einsetzen, werden nur zu fünf Prozent zum Produkt. Der lange Weg dahin ist eine technologisch erheblich reduzierbare Verschwendung. Wenn man sie abbaut, senkt man zwangsläufig auch Kosten, soweit es die Vorleistungen in der Wertschöpfungskette betrifft. Gleichzeitig steigt der vermarktungsfähige Wissensanteil der Produkte.
2010wird.de: Der chinesische Markt gilt bei vielen Experten als das beste Beispiel der globalen Trendwende…
Jänicke: China ist auch deshalb interessant, weil es lange Zeit gerade dort nicht danach aussah, dass ökologisch nachhaltiges Wirtschaften ins Zentrum langfristiger wirtschaftpolitischer Planung rücken würde. Jetzt gibt es dort einen radikalen Schwenk. Und das nicht unbedingt wegen eines neuen Umweltbewusstseins, sondern weil sie verstanden haben: Das sind die Märkte der Zukunft! Wenn irgendjemand noch Zweifel hat an der Trendwende der globalen Wirtschaft hat, muss er sich nur angucken, was die Chinesen wirtschaftpolitisch für wichtig halten.
2010wird.de: Haben wir den richtigen Weg denn bereits eingeschlagen?
Jänicke: Jein. Das Problem könnte ja sein, dass zwar eine starke Profitabilisierung der Umwelt stattfindet, aber nicht genug Umweltverbesserung dabei herauskommt. In einer aktuellen Studie von McKinsey hat man Einschätzungen, wonach allein technologische Lösungen das Problem der Klimaerwärmung zu 80 Prozent lösen können, massiv nach unten korrigiert: Mit technologischen Lösungsansätzen erreiche man zwar immer noch über 50 Prozent, aber der Rest sind Aufforstung, ökologische Landwirtschaft, Vitalisierung der Naturräume.
2010wird.de: Was aber nichts daran ändert, dass technologische Innovationen in einem nie da gewesenen Maße zur Entlastung der Umwelt und damit zur Sicherung der Lebensgrundlagen beitragen?
Jänicke: Korrekt. Das muss man ja realistisch sehen. Ich habe immer gesagt, dass der einfachste Weg zu einer verbesserten Umwelt- und Wirtschaftssituation nicht primär über einen kollektiven Bewusstseinswandel oder gar freiwilligen Verzicht führt, sondern über die Profitabilität technischer Lösungen.
2010wird.de: Trägt nicht auch strategischer Konsum - als Ausprägung eines Bewusstseinswandels - zur Innovationsfreudigkeit der Unternehmen bei?
Jänicke: Sicher, das eine beeinflusst das andere, auch wenn es ein fataler Fehler wäre, primär vom Konsumenten die Problemlösung zu erwarten. Neu ist allerdings das Tempo, in dem sich auch hier die Dinge mittlerweile ändern. Darauf müssen sich die Unternehmen einstellen. Ich fahre zum Beispiel einen 3-Liter-„Lupo“ von Volkswagen. Da er sich nicht so verkauft hat wie erwartet, wurde das Modell nicht mehr aufgelegt. Was meinen Sie, was mir für den Wagen neuerdings für Summen geboten werden! Anders gesagt: Der Megatrend ist jetzt schon ein Prozess, der sich dramatisch dynamisiert hat...
2010wird.de: …und der als Jobmotor der Zukunft gilt.
Jänicke: Wir sind in den vergangenen zwei Jahren eher überrascht worden, wie stark der Beschäftigungseffekt heute bereits ist. Es gab 2006 eine Studie der Europäischen Union wie groß der Beschäftigungseffekt der Umweltindustrie ist, und das Ergebnis waren 2,2 Prozent des Bruttosozialprodukts. Immerhin! Das Interessante war allerdings, dass viele Kategorien fehlten, für die es keine Daten gab.
2010wird.de: Welche Rolle spielen heute die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in Richtung GreenTech für die Planung und Investitionen der Unternehmen?
Jänicke: Der grüne Megatrend ist – wie Studien immer wieder verdeutlichen – weitgehend „politik-getrieben“. Die Steuerungsfähigkeit der Politik ist insgesamt unzureichend, hat aber deutlich zugenommen, wir erleben derzeit eine Renaissance der Politik. Die Tabuisierung der Staatstätigkeit ist aus meiner Sicht endgültig vorbei. Und das hat gerade für die Umweltindustrie eine besondere Bedeutung: Wir haben heute einen zunehmenden „regulativen Wettbewerb“ zwischen Ländern wie Deutschland, Japan oder den USA und China. Umweltinnovationen hängen davon ab, dass entwickelte Länder anspruchsvolle Umweltziele umsetzen.
2010wird.de: Wenn Sie einen internationalen Vergleich der Rahmenbedingungen ziehen würden – wer steht beim Megatrend mit all seinen Implikationen und Entwicklungschancen vorn im Ranking?
Jänicke: Ihrer Struktur nach ist die EU als Institution am besten dran. Der EU-Vertrag ist eine Quasi-Verfassung mit einem hohen Anteil von Umweltregelungen. Noch wichtiger bei der EU ist allerdings, dass öko-innovative Unternehmen hier starke Anreize finden. Das liegt u. a. daran, dass Vorreiterländern genügend Spielraum eröffnet wird. Zugleich haben sie gute Chancen, dass ihre umwelttechnischen Neuerungen auch einen europäischen Markt finden. Denn die EU muss reagieren: Wird die Innovation zum Standard, wie etwa in den 80ern die Rauchgasentschwefelung für Kraftwerke oder der Katalysator, hat der Produzent – in dem Falle deutsche Unternehmen – einen Markt. Pionierverhalten ist mehr als ein feiner Charakterzug, sondern wird zum Wettbewerbsvorteil.
2010wird.de: Ihre Empfehlung für Wirtschaft und Politik auf dem Weg in eine ökologisch nachhaltige Zukunft?
Jänicke: Die Politik sollte mit ehrgeizigen Vorgaben den Innovationsprozess anheizen.
2010wird.de: Wie es z.B. Japan mit dem Top-runner-Programm vorexerziert hat?
Jänicke: Exakt: Der Beste am Markt bestimmt den Standard, der zeitversetzt verbindlich gemacht wird. Dadurch erhalten neue Top runner einen Anreiz. Ein anderes Beispiel ist die deutsche Förderung der Erneuerbaren Energien: Erst hatten wir das bereits anspruchsvolle Ziel: 20% grüner Strom bis 2020. Dann schuf dies eine eigene Dynamik, sodass nach einigen Jahren das Ziel „mindestens 30“ aufgestellt werden konnte. Wir haben in Deutschland mit Beginn der massiven Förderung von grünem Strom einen regelrechten Boom an Patenten im Bereich Erneuerbare Energien erlebt. Auch in China hat ein anspruchsvolles Ziel für Erneuerbare Energien eine Dynamik ausgelöst, die dazu führte, dass die Ziele erheblich angehoben werden konnten. Je näher das Ziel dem aktuell besten Stand der Technik kommt, desto stärker wird der Innovationsschub ausfallen. Für Akteure aus Wirtschaft und Politik muss also gelten: Geht an die Grenze dessen, was heute machbar ist.
2010wird.de: Und dann sind wir noch zu retten?
Jänicke: Die Chance ist sicherlich da.
Konkurrenzlose Produktivität
Interview mit Prof. Dr. Martin Jänicke, Senior Policy Advisor und Experte für globale Umweltpolitik
- von Deutsche Messe AG
- März 16, 2010
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