IEN D-A-CH: 2023 hat JUMO ein großes Jubiläum gefeiert, den 75. Firmengeburtstag. Können Sie unseren Lesern einige der wichtigsten Entwicklungs-Highlights kurz vorstellen, auf dem Weg vom der Thermometerherstellung zum globalen Anbieter für Sensor- und Automatisierungslösungen?
D. Charisiadis: Noch vor der Gründung zweier deutschen Staaten entstand 1948 die Thermometerfabrik M. K. JUCHHEIM in Fulda und stellte bereits auf der HANNOVER MESSE 1949 aus. 1966 startete die Fertigung von Platin-Glas-Sensoren, auch Mess- und Regelgeräte auf elektronischer Basis kamen ins Programm. 1978 setzte JUMO als erstes Unternehmen Prozessoren in der Regeltechnik ein. In den 1990ern brachte JUMO High-Tech-Geräte, Prozessregelsysteme, Smart-Transmitter, Bus-Technologie und modernste Visualisierungssoftware hervor. Anfang der 2000-Jahre wuchs JUMO auf den asiatischen und osteuropäischen Märkten und konnte mit kompletten Automatisierungssystemen neue Zielgruppen erschließen.
Heute positionieren wir uns als führender System- und Lösungsanbieter für die unterschiedlichsten Branchen. Wir bieten eine innovative Palette für die gesamte Automatisierungspyramide.
IEN D-A-CH: Wie sieht die aktuelle Situation der JUMO-Gruppe in Bezug auf Umsatz und Mitarbeiterzahlen aus? Wie ist die Verteilung der Produktions- und Vertriebsstandorte?
D. Charisiadis: Den größten Umsatz erzielen wir immer noch in Deutschland, hier haben wir auch mit rund 1.500 Mitarbeitenden die höchste Beschäftigtenzahl von weltweit rund 2.500 Beschäftigten.
Mit Blick auf unser neues Werk SENSILO bleibt Fulda damit wichtigster Produktionsstandort. Größere Produktionseinheiten haben wir noch in China, Rumänien und Frankreich, kleiner Fertigungsstätten beispielsweise in Belgien und Österreich. Lokale Gegebenheiten spielen dabei eine große Rolle. Wir wollen nah am Kunden sein, benötigen aber auch eine bestimmte Flexibilität. So ist in Spanien die Glasindustrie ein wichtiger JUMO-Kunde, in der Schweiz die Bahnindustrie. Das alles muss im globalen Produktionsprozess berücksichtigt werden. Mit Vertriebsgesellschaften sind wir in allen relevanten und schnell wachsenden Märkten vertreten.
Momentan sind Auftrags- und Umsatzsituation herausfordernd. Die Rezession in Deutschland bekommen auch wir zu spüren, da wir mit unserem Portfolio breit aufgestellt sind und in viele Branchen liefern. Wir nutzen alle Maßnahmen, die Arbeitsplätze unserer Mitarbeitenden sichern.
IEN D-A-CH: Eine kurze Frage in Richtung internationale Aktivitäten, bei vielen Unternehmen rückt Indien zunehmend in den Fokus. Wie ist die Situation bei JUMO?
D. Charisiadis: JUMO ist im indischen Markt seit 16 Jahren aktiv, aber wir importieren die meisten Produkte. Unsere Kunden wertschätzen „Made in Germany“. Wir möchten in Indien aber natürlich weiter wachsen und dazu gehört mittelfristig dann auch der Aufbau eigener Produktionskapazitäten. Ein Beispiel dafür, wie sich die Lage auf einem Markt recht schnell ändern kann, ist China. Auch da waren deutsche Produkte hoch im Kurs, heute wird dort gefragt, ob ein Produkt lokal gefertigt ist. Wenn nicht, ist das ein klarer Nachteil.
IEN D-A-CH: Was sind aus Ihrer Sicht die Kernelemente in der JUMO-DNA, die es ermöglicht haben über einen so langen Zeitraum das Produkt- und Lösungsportfolio so konsequent auf- und auszubauen?
D. Charisiadis: Unsere JUMO-DNA ist durch folgende Themen definiert:
- Innovationskraft und Technologieführerschaft: JUMO hat stets einen starken Fokus auf Forschung und Entwicklung gelegt. Durch frühzeitige Investitionen in neue Technologien und kontinuierliche Innovationen ist es uns gelungen, am Puls der Zeit zu bleiben und unseren Kunden stets modernste Lösungen anbieten zu können.
- Kundennähe und Marktorientierung: Die enge Zusammenarbeit mit unseren Kunden hat es uns ermöglicht, deren Anforderungen und Herausforderungen genau zu verstehen und gezielt darauf einzugehen. Diese Kundenorientierung fließt in die Entwicklung maßgeschneiderter Produkte und Lösungen ein, die auf spezifische Bedürfnisse der jeweiligen Branchen zugeschnitten sind.
- Mitarbeiter und Unternehmenskultur: Unsere Mitarbeiter sind der Schlüssel zu unserem Erfolg. Langfristige Fachkompetenz, ein hohes Maß an Engagement und eine Kultur der Zusammenarbeit und des gegenseitigen Vertrauens haben die Basis geschaffen, um kontinuierlich zu wachsen und uns als Unternehmen weiterzuentwickeln. Dieses starke Fundament hat uns erlaubt, unser Portfolio nachhaltig auszubauen und uns als verlässlichen Partner am Markt zu etablieren.
Diese Elemente sind tief in unserer Unternehmens-DNA verankert und ermöglichen es uns, flexibel auf Veränderungen zu reagieren, ohne dabei unsere Kernwerte aus den Augen zu verlieren.
IEN D-A-CH: Ein aktueller Meilenstein für JUMO ist die Entscheidung für den Bau des neuen Werkes in Fulda. Geplant sind 10.000 m² Produktionsfläche, insgesamt 13.000 m² Gebäudefläche und eine Investitionssumme von rund 50 Millionen Euro. Welche Vision steckt hinter dem Neubauprojekt? Und wie ist der aktuelle Stand?
D. Charisiadis: Die Baumaßnahmen am JUMO-Werk SENSILO im Technologiepark Fulda-West schreiten weiter zügig voran. Nach dem geplanten Umzug zum Jahresende soll im Frühjahr 2025 die Produktion schrittweise hochgefahren werden. Bei dem Neubau geht es vorrangig um Digitalisierung, Materialflussoptimierung, Reduzierung von Kostenstrukturen und somit letztlich um Effizienzgewinne, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Darüber hinaus ist uns Nachhaltigkeit wichtig: das neue Werk wird energieautark arbeiten. Mit rund 50 Millionen Euro ist der Neubau die größte Investition in der JUMO-Geschichte. Der Neubau liegt weiterhin im Zeit- und Kostenplan. Dass dies so ist, ist nicht zuletzt dem Engagement von Projektleiter Stefan Reith und seinem Team zu verdanken.
IEN D-A-CH: JUMO ist bekannt für seine innovativen Produkte und Systeme - was sind die aktuellen Highlights, auf die sich potenzielle Anwender freuen können?
D. Charisiadis: Auf der SPS 2024, die erst vor kurzem stattfand, haben wir kein einzelnes Produkt in den Mittelpunkt gestellt, sondern wir präsentierten uns als führender System- und Lösungsanbieter für die unterschiedlichsten Branchen. Wir decken mit unserer innovativen Palette die gesamte Automatisierungspyramide ab, vom Sensor bis in die Cloud. Das machten wir auf der SPS deutlich am Beispiel unserer Brauanlage. Die Positionierung als System- und Lösungsanbieter werden wir 2025 noch stärker vorantreiben.
IEN D-A-CH: Die aktuelle wirtschaftliche Situation in Deutschland und Europa ist herausfordernd, in welchen Bereichen und Branchen liegen für JUMO die Treiber für eine positive Entwicklung in den nächsten Jahren?
D. Charisiadis: Wir bei JUMO sehen, dass Single Pair Ethernet (SPE) die Automatisierung in der Prozessindustrie maßgeblich vorantreibt. Das Thema SPE war bereits bei den letzten SPS-Messen präsent, und wird es auch in diesem Jahr wieder sein. SPE ist für die Sensor- und Messtechnik von Bedeutung, da es die Infrastruktur vereinfacht und die Installationskosten senkt. SPE bietet zudem hohe Datenraten und ist robust gegenüber industriellen Störungen. In Zukunft wird meiner Ansicht nach SPE eine Schlüsselrolle bei der weiteren Digitalisierung industrieller Umgebungen spielen, indem es eine einfache, kostengünstige und effiziente Möglichkeit bietet, eine große Anzahl von Sensoren in einem Netzwerk zu integrieren. Dies wird besonders in der Industrie 4.0 und bei IIoT-Anwendungen eine erhebliche Rolle spielen. JUMO bietet hier drei Sensoren, die SPE- und IO-Link-fähig sind. Neben diesem technologischen Treiber sind es die von uns definierten Fokusbranchen, in denen wir uns doppeltes Wachstum vornehmen. Diese decken sich mit den Megatrends, wie z.B. sauberes Wasser, Nahrungsmittel und Investitionen in die Infrastruktur (Bahn).
IEN D-A-CH: Wenn es um Daten, Digitalisierung und Automatisierung geht, fällt in den letzten Jahren fast automatisch das Stichwort KI. Sucht man auf Ihrer Website danach, findet man derzeit keine Treffer. Wie positioniert sich JUMO hier, alleine oder auch mit Partnern?
D. Charisiadis: Das Thema KI ist für uns ein wichtiges Thema, und die Sichtbarkeit auf der Homepage werden wir optimieren. Derzeit nutzen wir KI beispielsweise als Ergänzung in der Suchfunktion unseres Software Help Centers. Sowohl Kunden als auch Mitarbeiter können hierüber Fragen zu unseren Software Produkten direkt ins Suchfeld eingeben. Die KI generiert auf Basis der Online-Dokumentation eine sofortige Antwort. Eine zeitaufwändige Suche innerhalb der Bedienungsanleitungen ist nicht notwendig.
Wir haben eine eigene Arbeitsgruppe, die sich mit diesem Thema befasst. Erste KI-Optimierungen sind schon vor zwei Jahren in unserer Produktion zur Anwendung gekommen. Wir sind aktuell dabei intern unseren eigenen JUMO GPT einführen. Wir werden zukünftig auch KI in unsere Produkte integrieren, wo es sinnvoll ist.
IEN D-A-CH: Kurze Abschlußfrage: Gibt es eine besonders herausragende Anwendung, die mit JUMO-Produkten erfolgreich realisiert werden konnte?
D. Charisiadis: Ja, die zum 75-jährigen Jubiläumsjahr konzipierte JUMO-Brauanlage war so ein Beispiel, und verdeutlicht unsere Kompetenz als durchgängiger System- und Lösungsanbieter. Insgesamt waren 14 JUMO-Produkte in der Brauanlage verbaut. Nicht nur der Brauprozess ist damit möglich, sondern auch eine CIP-Reinigung. Solche Applikationen wollen wir mit Fokus auf bestimmte Branchen noch stärker weltweit umsetzen.
IEN D-A-CH: Wir bedanken uns für das Gespräch!