Die DCS-Technologie (Distributed Control Systems) ist in einer Vielzahl von Branchen etabliert. Was waren und sind die wichtigsten Treiber für die Technologie und haben sie sich verändert?
M. Taft: Die DCS-Technologie zielt darauf ab, industrielle Prozesse sicher, effizient und zuverlässig zu betreiben. Die heutigen Automatisierungsexperten erwarten jedoch mehr von ihrem Anbieter, beispielsweise Innovationsflexibilität und Reduzierung der Lebenszykluskosten ihrer Automatisierung. Unsere Kunden arbeiten in mehreren Standardisierungsinitiativen. Ein Beispiel dafür ist das Open Process Automation Forum (OPAF), ein Konsortium von Endanwendern und Automatisierungsanbietern, das an der Definition einer standardbasierten, offenen, sicheren und interoperablen Architektur für zukünftige Prozessautomatisierungssysteme arbeitet. Es zielt darauf ab, Best-in-Class-Komponenten zu integrieren und Kosten für Anwendungssoftware in Anlagen zu senken.
NAMUR hat ein offenes Architekturmodell NOA (NAMUR Open Architecture) definiert, das zentrale Steuerungs- und Automatisierungsfunktionen von nicht-zeitkritischen Überwachungs- und Optimierungsanwendungen des Industrial Internet of Things (IIoT) trennt.
Mit der digitalen Transformation werden in jeder Produktionslinie immer mehr Daten erzeugt. Wie lassen sich aus diesen Informationen hilfreiche Einblicke in Prozesse gewinnen?
M. Taft: Das DCS ist seit Jahrzehnten das Bindeglied zu den Produktionsinformationen aus dem Werk. ABB hat eine lange Tradition bei der Integration von Elektro-, Telekommunikations-, CMMS-, Asset Management-, Dokumentations- und Optimierungsanwendungen in unser System.
Neue Standards wie OPC UA und APL mit PA DIM ermöglichen einen plattformunabhängigen Zugriff auf die Informationsquelle und unterstützen gleichzeitig die Interoperabilität zwischen Systemen und Anwendungen verschiedener Anbieter auf hohem Niveau. Mit Cloud- und Edge-Technologien können wir nicht-kritische, erweiterte Automatisierungsanwendungen von den zentralen Steuerungsressourcen trennen. Dies ermöglicht mehr Rechenleistung und einen agileren Einsatz von Technologien wie Augmented oder Virtual Reality, maschinellem Lernen und KI am Edge, ohne die Prozesssteuerung der Anlage zu unterbrechen.
In sich ständig verändernden Märkten brauchen Unternehmen mehr Flexibilität für ihre Produktionsprozesse. Wie können aktuelle DCS-Systeme Kunden dabei unterstützen, gerade wenn es um einen modularen Automatisierungsansatz geht?
M. Taft: Modularität ist der Schlüssel zu mehr Flexibilität und Erweiterungen unserer aktuellen Automatisierungssysteme werden modulare Hard- und Software umfassen. Unabhängige Module werden integriert, um die Interaktion, Orchestrierung und Konsistenz auf Systemebene zu gewährleisten, an die sich unsere Kunden mit unserem erweiterten Automatisierungsangebot gewöhnt haben. Diese einzelnen Module können ohne Beeinträchtigung der Automatisierungslösung aufgerüstet oder ausgetauscht werden.
Prozesssteuerungsanwendungen werden auf Bibliotheken von wiederverwendbaren Funktionsmodulen basieren, wodurch der Aufwand reduziert wird. Durch die Verwendung klar definierter Kommunikationsschnittstellen entfällt die Notwendigkeit, diese Module aufeinander abzustimmen.
Das MTP- oder modulare Automatisierungskonzept der NAMUR entwickelt dieses Konzept weiter um ein standardisiertes, modulares Konzept, das auf die Automatisierung in Verbindung mit Prozess-»Skids« angewendet wird. Diese werden von Anlagen- und Prozessherstellern bereitgestellt, um eine vollständige Prozesskontrolle und Betriebsunterstützung zu bieten. Ein wesentlicher Schwachpunkt in der Automatisierung ist die Datenabbildung und die Inbetriebnahme von Schnittstellen zu SPS und Steuerungen von Drittanbietern. Standardschnittstellen erleichtern die Integration von Steuerungen in komplette Prozesse. Kombiniert mit der modularen Umsetzung lassen sich so Prozesse schnell an neue Produkte anpassen.
Nachhaltige Produktion und Transformation in eine dekarbonisierte Industrie sind wichtige Herausforderungen für Sie und Ihre Kunden. Wie können Sie Ihre Kunden bei ihren Bemühungen unterstützen?
M. Taft: Die Industrie versucht, erneuerbare, kohlenstofffreie Energiequellen einzusetzen. Viele werden Prozesse elektrifizieren müssen, um Wind- und Solarenergie sowie Strom aus erneuerbaren Energien aus dem Netz zu nutzen. Außerdem müssen Energiequellen ersetzt werden, um optimale Kosten zu erzielen.
Erneuerbare Energien sind intermittierend und benötigen zudem Energiespeicher. Die Optimierung von Prozessabläufen unter diesen Bedingungen erfordert Anbieter, die Prozessautomatisierung und Elektrifizierung integrieren können. Optimierungsstrategien müssen z. B. berücksichtigen, wenn eine Prozessheizung problemlos für 20 Minuten abgeschaltet werden kann, während ein in der Nähe befindliches rotierendes Gerät selbst einem Leistungsabfall von fünf Millisekunden nicht standhält, ohne auszulösen.
Der demografische Wandel wirkt sich auf die Branche aus und wird dies in Zukunft noch stärker tun. Welche Konzepte werden zukünftig für eine sichere und effektive Produktion benötigt?
M. Taft: Ein Problem ist der Wissensverlust, wenn Mitarbeiter in den Ruhestand gehen. Die Mitarbeiter von morgen werden nicht nur Füllstände und Drücke überwachen, sondern über den gesamten Lebenszyklus der Anlage den optimalen Betrieb aufrechterhalten. Künstliche Intelligenz kann dabei helfen, aus vorhandenen Datenquellen ein Unterstützungssystem für Entscheidungen zu erstellen. So werden Arbeitsplätze für eine Belegschaft von Digital Natives attraktiver.
Diese Trends können auch zu immer autonomeren Anlagen führen, insbesondere an gefährlichen oder abgelegenen Standorten, die von Fernbedienern mit Unterstützung von Experten rund um den Globus überwacht werden. Der Mangel an erfahrenen Talenten hat ABB veranlasst, seine Automatisierungssysteme der nächsten Generation mit vorgefertigter, vorab geprüfter Funktionssoftware zu konzipieren, die mit Elementen für Steuerung, Visualisierung und zugehörige Diensten ausgestattet ist.
Die Gesamtprozessorchestrierung der Softwaremodule wird durch das System erleichtert, wobei die Steuerungsingenieure von der Programmierung der Steuerungslogik zur Konfiguration der prozessspezifischen Automatisierungsanforderungen übergehen. Die bereits erfolgten Qualitätskontrollen für vorab getesteten Code sparen Zeit und Aufwand und helfen Geräte schnell in Betrieb zu nehmen.
ABB ist seit langem Innovationsführer in der Automatisierungs- und DCS-Technologie. Welche Entwicklungen erwarten Sie für die nächsten Jahre?
M. Taft: ABBs Technologie für Prozessautomatisierungssysteme der nächsten Generation wird die Industrie in die Lage versetzen, in einer sich schnell verändernden Welt wettbewerbsfähig zu sein, durch anpassungsfähige, modulare und sichere Automatisierungslösungen für autonome Abläufe.
Diese Systeme werden mit Werkzeugen entwickelt und eingesetzt, die einen modulareren und flexibleren und damit schnelleren Prozess für höher automatisiertes Projekt-Engineering und die Inbetriebnahme ermöglichen.
ABB verfügt über eine installierte Basis von über 35. 000 Systemen. Wir haben eine lange Tradition darin, die Einführung neuer Technologien gegen die Kontinuität der Produktion abzuwägen und die Investitionen unserer Kunden zu schützen, indem wir ihren Systemen den Weg nach vorn weisen.
Unsere Systeme der nächsten Generation ermöglichen es unseren Kunden, die neuesten, innovativen Lösungen zu nutzen und gleichzeitig ihr geistiges Eigentum und ihre Investitionen in Anwendungen zu schützen.