Eisenbahnräder müssen höchste Anforderungen erfüllen: Mehr als 11 t Radlast und eine Laufleistung von oft über 600.000 km sind eine Herausforderung für Material und Technik. Darüber hinaus stellt das Auftreten von hohen dynamischen Belastungen an Rädern und Wellen von Hochgeschwindigkeitszügen eine extreme Belastungsprobe für diese Verschleißteile dar - Mängel können hier folgenschwere Konsequenzen haben. Deshalb ist die einwandfreie Qualität des verwendeten Rohmaterials ein entscheidender Faktor für ihre Haltbarkeit und zuverlässige Funktionalität. Durch den weltweiten Ausbau des Schienenverkehrs sowohl für die Personenbeförderung als auch für den Gütertransport, vor allem in den expandierenden BRIC-Staaten, steigt nicht nur die Nachfrage an sogenanntem "rollenden Material", sondern auch die nach prozesssicheren Möglichkeiten zur Fertigungsprüfung. Darüber hinaus ist Schnelligkeit gefragt: Große Räderwerke produzieren bis zu einer halben Million Räder pro Jahr, die als gedrehte Rohlinge vor ihrer Fertigbearbeitung auf Mängel im Material geprüft werden müssen. Da die einzelnen Produktionsschritte exakt getaktet und aufeinander abgestimmt sind, darf diese Prüfung nicht zum sprichwörtlichen Flaschenhals werden.
Hohe Anforderungen an präzise Prüftechnik
Vor allem das Erkennen von internen Materialfehlern ist eine Aufgabe, bei der präzise und zuverlässige Prüftechnik gefordert ist. Nach den Normen EN 13262 und ISO 5948, in denen die Produktqualifizierung von Eisenbahnrädern von Güter-, Regional und Hochgeschwindigkeitszügen beschrieben werden, muss die innere Fehlerfreiheit durch automatische Verfahren festgestellt werden. Das kann zum Beispiel die Prüfung durch Ultraschall sein. Deutscher Technologieführer im Bereich von Ultraschall-Prüfsystemen in der Öl-, Gas- und Stahlindustrie ist die NDT Systems & Services GmbH & Co. KG in Stutensee bei Karlsruhe. Das international aufgestellte Unternehmen, das im Jahr 2000 gegründet wurde, hat sich auf die Entwicklung zerstörungsfreier Prüfsysteme und Dienstleistungen für die Inspektion metallischer Werkstoffe spezialisiert. Im März 2011 erhielt die NDT Systems & Services GmbH & Co. KG die Anfrage eines chinesischen Herstellers für Eisenbahnräder zur Entwicklung einer neuartigen Radprüfanlage. Die Anforderung: eine Prüfzeit von 60 bis 90 Sekunden pro Rad einschließlich Be- und Entladen der Prüfeinheit - ein ambitioniertes Ziel, denn auch kleinste Unregelmäßigkeiten müssen erkannt und dokumentiert werden. Auf dieser Grundlage wird bei jedem Rad entschieden, ob es für die spätere Inbetriebnahme geeignet ist. Hier spielt unter anderem eine Rolle, wo die Räder am Ende eingesetzt werden sollen: Im Hochgeschwindigkeits-bereich müssen kleinste innere Fehler mit einer Prüfempfindlichkeit entsprechend einem Kreisscheibenreflektor von 1 mm Durchmesser (KSR 1) detektiert werden. Darüber hinaus sollte die Maschine in der Lage sein, auch unterschiedliche Radgrößen zuverlässig zu laden und zu prüfen.
Expertenlösungen auf dem Prüfstand
Um die spezifischen Entwicklungsvorgaben umsetzen zu können, holte sich die NDT Systems & Services GmbH & Co. KG bereits in einem frühen Stadium kompetente Technologiepartner mit an Bord. Neben Fraunhofer IZFP, das die Prüftechnik sowie die dazugehörige Software entwickelte, gehörte dazu der Geschäftsbereich Origa von Parker Hannifin, einem der weltweit führenden Hersteller für Antriebs- und Steuerungstechnologie. Parker produziert und vertreibt pneumatisch und elektrisch angetriebene Komponenten und Systeme zur Lösung von Bewegungsaufgaben in vielfältigen Branchen des Maschinenbaus und der Automatisierungstechnik; das Spektrum der angebotenen Produkte reicht von Zylinderbaureihen über Steuerungskomponenten bis zum Druckluftaufbereitungs-Systembaukasten. Da die Inspektion der Radkränze unter Wasser stattfindet und auch bei der Prüfung der Radnaben permanent Wasser als Koppelmedium für den Transport der Ultraschallwellen in den Stahl fließt, musste die gesamte Antriebstechnik einer hohen Schutzklasse entsprechen (IP 54) - dies war bei den Parker-Produkten der Fall. Parker tritt bei NDT aber nicht nur als Lieferant von Linearantrieben, sondern als umfassender Lösungspartner auf, denn auch die Motoren und Servo-Controller für die Anlage kommen von diesem Unternehmen.
Außendienstmitarbeiter Erich Metzinger von Parker Hannifin war seit Beginn der Planungen in das Projekt mit eingebunden: "Die Zusammenarbeit war für uns aus vielerlei Gründen spannend. Erstens ging es um die Neuentwicklung der Technologie, zweitens hatten wir hier die Möglichkeit, unsere Kompetenz als Partner für Komplettlösungen unter Beweis zu stellen."
Präzision für sensible Schwergewichte
Die reine Entwicklungszeit für die Anlage, die Eisenbahnräder nach allen gängigen Normen weltweit prüfen kann, betrug rund 6 Monate. Dabei herausgekommen ist eine Maschine, hinter deren unscheinbarer Fassade sich modernste Ultraschalltechnologie verbirgt. Die bis zu 1,2 t schweren Räder werden im Minutentakt in die Haltevorrichtung von Parker eingelegt. Über den federnd gelagerten Prüfkopf wird der korrekte Sitz des Rades kontrolliert, bevor es in das Wasserbecken der Anlage eingetaucht wird; so ist eine perfekte Positionierung auch bei unterschiedlichen Radgrößen gewährleistet. Bis zu 1.000 unterschiedliche Radgeometrien können über das System vorgegeben werden. Die Wassertemperatur ist variabel und kann im Bereich zwischen 10 und 35 Grad liegen. Der im Wasser integrierte Fühler meldet die Temperatur an das System, das darauf basierend die Geschwindigkeit des Ultraschalls berechnet und die Werte entsprechend anpasst.
Phased Arrays als Beschleuniger
Die eigentliche Innovation findet sich ebenfalls im Wasserbecken: Für die Radkranzprüfung brachte die NDT Systems & Services GmbH & Co. KG erstmals die Gruppenstrahlertechnik (Phased Array Technik) zum Einsatz, die es ermöglicht, die gesamte Prüfung während nur einer Radumdrehung durchzuführen. Die Phased Arrays sind in einem Abstand von jeweils 4 Zentimetern angebracht, insgesamt sind 128 Prüfelemente pro Array integriert. Die Inspektion der Radnabe erfolgt ebenfalls über ein Array von Ultraschallprüfköpfen, das die Nabe beidseitig abtastet (bei einer bereits konzipierten Offline-Anlage, die zusätzlich die Prüfung der kompletten Radscheibe zur Aufgabe hat, wird mit sogenannten Squirtern gearbeitet, die über Prüfroboter positioniert werden - dabei erfolgt die Einleitung des Ultraschalls in die Radscheibe über einen laminaren Wasserstrahl) Bei der Online-Anlage zur Kontrolle von Radkranz und Radnabe dauert die Prüfung des Rohlings 30 Sekunden, inklusive Anstellung und Lösen des Rades lediglich eine Minute - damit wurden auch dank der Technologie von Parker die Maximalanforderungen des Kunden an Schnelligkeit optimal umgesetzt. Denn die Antriebstechnik mit elektrischen Linearantrieben auf insgesamt 6 Achsen stammt von der marktführenden Unternehmensgruppe. Das verwendete System Origa OSP-E mit Spindelantrieb zeichnet sich durch eine kompakte Aluminium-Rollenführung für hohe Belastungen und Geschwindigkeiten bei kleineren Baugrößen aus. Die Linearantriebe fahren die Sensoren, mit deren Hilfe die Qualität der Räder geprüft wird, präzise an die gewünschten Positionen; der Prüfkopf wird mit einer Wiederholgenauigkeit von 0,5 mm positioniert. Gesteuert wird die Anlage über einen Profibus.
Zahlreiche Vorteile
Nach der Entwicklung wurde die Anlage bei NDT umfangreichen Tests unterzogen, bei dem sowohl die mechanischen Komponenten als auch die Software auf Herz und Nieren geprüft wurde. Vom Kunden in China wurden dafür drei Testräder in verschiedenen Größen zur Verfügung gestellt, deren Referenzreflektoren (Testfehler) manuell eingebracht und sorgfältig dokumentiert waren. Das Ziel der Testreihe war es, diese Unregelmäßigkeiten jedes Mal innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens zu identifizieren - ein Ziel, das mit Bravour erreicht wurde. Nach den Tests erfolgte eine Fernabnahme durch den Kunden; zurzeit wird die Anlage in China montiert und eingerichtet. "Mit dieser Entwicklung haben wir im Bereich Radsatzprüfung einen großen Schritt nach vorne gemacht", so Andreas Sauter, verantwortlicher Projektleiter bei NDT. "Vorher wurden viele dieser Prüfungen manuell oder mit anderen Technologien durchgeführt. Durch diese Lösung reduziert sich der mechanische Aufwand ganz erheblich, außerdem erfolgt eine sehr viel zuverlässigere Qualitätssicherung. Hier haben wir als Team wirklich gute Arbeit geleistet. Ohne die Zusammenarbeit mit unseren Partnern wie Parker wäre uns das nicht gelungen."