Stabilität und Dynamik – und das auf einer Kugel?

Das Forschungsprojekt Ballbot „Rezero“

  • Rezero in Aktion
    Rezero in Aktion
  • Rezero „hüllenlos“
    Rezero „hüllenlos“
  • Omniwheel in Einzelteilen
    Omniwheel in Einzelteilen
  • Aufbau des Rezero
    Aufbau des Rezero
  • Antrieb: Motor EC-4pole 30, Planetengetriebe GP 42 C, Winkelencoder HEDL 5540, Omniwheel
    Antrieb: Motor EC-4pole 30, Planetengetriebe GP 42 C, Winkelencoder HEDL 5540, Omniwheel

Ein interdisziplinäres Team von Studierenden hat auf beeindruckende Weise in die Realität umgesetzt, was sich auf Anhieb etwas gar verrückt anhört und eigentlich grundlegenden physikalischen Gesetzen zu widersprechen scheint. Ihr Ballbot "Rezero" schafft nicht nur den Balanceakt auf der Kugel in höchster Vollendung, sondern besticht ebenso durch überzeugende technische Lösungen, beispielslose Agilität und ästhetische Formgebung.

 

In einem Fokusprojekt der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) haben sich Studierende des Autonomous System Lab (ASL) mit Kolleginnen und Kollegen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) zu einer Kooperation der besonderen Art zusammengefunden. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit heisst Rezero und ist der erste Ballbot, der nicht nur die komplexe Kunst des Balancierens beherrscht. Er ist auch in der Lage sein Bewegungspotential voll auszuschöpfen und demonstriert auf anschauliche Weise, dass ein Roboter sehr ansprechend aussehen kann und ihm gegenüber kaum Hemmschwellen bestehen müssen. Ob als Fremdenführer, Dienstbote, Alltagshilfe oder Spielzeug, Rezero fühlt sich in engen Platzverhältnissen oder belebter Umgebung im Element. Er ist Bewegungskünstler und Unterhalter, er beeindruckt, weckt Emotionen und interagiert auf eindrückliche Weise mit den Menschen um ihn herum.

Das Ballbot-Prinzip
Augenfälliges Merkmal eines Ballbot ist der "Ball" auf dem er steht. Seine Kontaktfläche zum Untergrund ist eigentlich nur ein Punkt, was ihn grundsätzlich instabil macht und höchst gefährdet umzufallen. Andererseits ermöglicht dieser Umstand die freie Bewegung in jeder Richtung und die Rotation um die eigene Achse.

Ein weiterer Aspekt: Das Rollen in eine bestimmte Richtung bewirkt ein Gegenmoment - das Abkippen des Roboters entgegen der Bewegungsrichtung - welches ihn eigentlich wiederum zu Fall bringen würde. Diesen Umstand macht sich aber ein Ballbot zu Nutzen, indem er sich vor der Fahrt leicht in die entgegengesetzte Richtung lehnt um quasi hinter seinem Schwerpunkt hinterherzufahren. Um weiter zu beschleunigen lässt sich der Ballbot einfach etwas mehr in Fahrtrichtung fallen. Um zu verzögern muss er hingegen erst noch weiter beschleunigen, um seinen Schwerpunkt zu "überholen", bevor er zusammen mit dem synchronisierten Aufrichten zum Stillstand kommen kann. Doch; gänzlicher "Stillstand ist des Ballbots Tod". Auch wenn er völlig aufrecht zu stehen scheint hält er sein Gleichgewicht, indem er sich ständig unter seinem Schwerpunkt durch Bewegung der Kugel ausbalanciert.

Eine prinzipielle Hürde, die es zu überwinden gilt, ist der Antrieb der Kugel: Ein "normales" Rad dreht ja radial um die eigene Achse, entweder vor- oder rückwärts. Jedoch ist eine Bewegung in paralleler Richtung zu seiner Achse ohne Überwindung der Reibung nicht möglich.

Auf den Antrieb einer Kugel appliziert heisst dies, dass während ihrer Bewegung zumindest eines der Antriebsräder in axialer Richtung hemmt. Dieser Umstand macht den Einsatz eines multidirektionalen Antriebs notwendig. Sogenannte Omniwheels übernehmen dabei die Kraftübertragung in eine Richtung bei gleichzeitigem Freilauf in der anderen Richtung.

Die Rezero-Lösung

"Ball"
Die Kugel ist eine projekteigene Entwicklung, die sich von anderen Lösungen deutlich abhebt. Deren Konstruktion und das dazu erforderliche Verfahren zur Herstellung wurden in Zusammenarbeit mit einem Industriepartner erarbeitet. Aufgebaut ist sie aus einem geometrisch hochpräzisen Aluminium-Hohlkörper und einer 4 mm dick gummierten, verschleissarmen Oberfläche, welche über einen sehr hohen Haftreibungskoeffizienten verfügt. Die exakte Kugelform und die hohe Reibkraft ermöglichen dabei hohe Laufruhe, äusserst dynamische Beschleunigungen und hohe Geschwindigkeiten von bis zu 3.5 m/s (knapp 13 km/h!). Nimmt man bekannte Ballbots als Referenz, zeigt sich, dass sich viele von ihnen oftmals etwas "unrund" bewegen und eher durch Trägheit und Langsamkeit auffallen.

Antrieb
Auch die drei im 120°-Winkel um die Kugel angeordneten Omniwheels sind eine Eigenentwicklung. Denn auf dem Markt verfügbare Lösungen konnten dem Anspruch auf eine gänzlich geschlossene Aussenkontur nicht genügen. Ihre aufwändige Geometrie, die verlustarme Auslegung der einzelnen Teile und die auf Kraftübertragung optimierte Oberfläche resultieren in einer aussergewöhnlichen, hochwertigen Konstruktion. Angetrieben werden die Räder durch Motor/Getriebe-Kombinationen von maxon motor. Sie bestehen jeweils aus einem maxon EC-4pole 30, einem Planetengetriebe GP 42 C und Winkelencoder HEDL 5540. Die Aufhängung der Antriebe ist so gestaltet, dass die Kugel optimal unter den drei Omniwheels liegt und stets Kraftschluss besteht. Geregelt werden die Antriebe über maxon-Positioniersteuerungen EPOS 70/10 welche im CAN-Netzwerk als Slaves im Stromregler-Modus adressiert werden. Die Koordination der drei Antriebe übernimmt der echtzeitfähige Low-Level-Rechner.

Das Antriebssystem besticht durch ausgesprochen hohe Dynamik bei Beschleunigung und Verzögerung, hohe Geschwindigkeiten und gleichzeitig hochpräzise Positionierung und hohe Laufruhe.

Steuerung, Lagekontrolle und Sensorik
Die Steuerung übernehmen zwei Rechnersysteme; ein echtzeitfähiger Low-Level-Rechner zur schnellen, präzisen Regelung von Gleichgewicht und Lage und ein High-Level-Computer unter Linux mit dem Roboter-Betriebssystem ROS (Robot Operating System), der die Interaktion mit der Umgebung übernimmt. Rezero kann über verschiedene Eingabemethoden, wie Joystick oder Trajektorienplanung mittels MATLAB gesteuert werden. Ebenso verfügt Rezero über einen "Spielmodus" in dem er sich innerhalb vorgegebener Parameter (wie beispielsweise maximale Geschwindigkeit, Beschleunigung, Bewegungsradius) von einer Gruppe von Personen durch Schubsen und Antippen frei steuern lässt.

Die Inertial Measurement Unit (IMU; Inertialmesssystem) bildet einer der vitalen Komponenten des Roboters. Das System misst translatorische und rotatorische Beschleunigungen sowie die Neigungswinkel im Raum und verfügt über einen Kompass. Die Messwerte werden über einen internen Kalmanfilter geglättet und an den Low-Level-Rechner übermittelt. Die Einheit arbeitet mit einer Frequenz von 160 Hz und ist das taktgebende Glied in der Regelkette.

Zur Wahrnehmung seiner Umgebung verfügt Rezero über verschiedene Laser- und Ultraschallsensoren. Deren Anordnung ermöglicht die 360°-Rundumerkennung von Objekten bis zu einer Entfernung von ca. 6.5 m. Je nach gewähltem Modus werden erfasste Objekte als Hindernisse gewertet oder sie lassen sich in das Roboter-eigene Verhalten miteinbeziehen. So kann Rezero beispielsweise die "Verfolgung" von erfassten Personen aufnehmen. Ergänzt werden die sensorischen Fähigkeiten durch Umgebungsmikrophone, deren Signale in das Verhalten miteinbezogen werden.

Verschalung
Kinder (kleine und auch grosse!) können der Verlockung kaum widerstehen den Roboter zu berühren, mit ihm zu spielen oder ihn zu sich zu rufen. Dies nicht nur weil er sich sehr organisch bewegt, sondern auch weil sein Äusseres sehr sympathisch und einladend daherkommt. Die Charakteristik seiner Bewegung widerspiegelt sich auch in seiner äusseren Verpackung; rund, schön geformt, charakterstark, dynamisch und elegant.

Das Endresultat
Rezero ist der erste Ballbot, bei dem nicht nur das Balancieren sondern auch das Ausreizen des unvergleichbaren Bewegungspotentials eines Ballbots im Vordergrund stehen. Das vom Projektteam ausgearbeitete Konzept besticht: Die Eigenentwicklung mechatronischer Elemente ist sehr gelungen, die hohe Güte der Ausführung und die Disziplinen-übergreifende Gesamtlösung machen Rezero zum herausragenden Hingucker.

So verwundert nicht, dass Rezero die Aufmerksamkeit von namhaften Unternehmen der Film- und Unterhaltungsindustrie auf sich gezogen hat. Gewiss wird Rezero in naher Zukunft von einem breiten Publikum bestaunt werden können und sich von seinen besten Seiten zeigen.

Autor: Martin Rüegg, technischer Redakteur bei maxon motor, Sachseln, Schweiz