Radio Frequency Identification (RFID) gilt seit vielen Jahren als wichtiges Hilfsmittel zur Steuerung der variantenreichen Produktion - doch für Anwendungen in der Lieferlogistik konnte sich die Technik bislang nicht durchsetzen. Durch Umsetzung des EPCglobal-Standards in industrietauglichen Systemen ist RFID nun aber reif für einen umfassenden und durchgängigen Einsatz in Fertigung und Distribution.
Kostengünstige RFID-Etiketten (Radio Frequency Identification), die auch im eingebauten Zustand, im Pulk und über mehrere Meter Entfernung gelesen werden können - mit der Einführung des EPCglobal-Standards wurde diese Vision als Basis für neuartige Logistikkonzepte bis hin zum "Internet der Dinge" schrittweise Realität. Erstmals kann nun RFID so eingesetzt werden, dass ganze Warenlieferungen auf Paletten an einem Eingangstor ohne langwieriges "Abschießen" von Barcodes erfasst werden können - zu Transponderpreisen, die weit unter den Kosten liegen, die für die bislang verfügbaren Systeme mit vergleichbarer Reichweite aufzuwenden waren. Die Auszeichnung einzelner Lieferungen, Verpackungseinheiten oder gar Einzelartikeln mit den Funketiketten kann Schritt für Schritt umgesetzt werden. Basis hierfür ist die Nutzung der Frequenzen im UHF-Band (Ultra-High Frequency) um 865 MHz.
In der Industrie jedoch konnte die EPCglobal-Technik nicht ohne weiteres für Anwendungen in Produktion, Materialfluss-Steuerung und Zulieferlogistik eingesetzt werden. Der Grund sind unterschiedliche Anforderungen: So ist ein Automobilhersteller auf 100-%ige Trefferquote angewiesen - eine Erfassungsrate von 99 % (die für Logistik-Anwendungen akzeptabel erscheinen mag) bedeutet in einem großen Werk etliche hundert Fehler pro Tag. Gleichzeitig müssen Überreichweiten auf jeden Fall vermieden werden, denn eine Fehllesung kann nicht nur z. B. eine Fehlbuchung bei der Vereinnahmung verursachen, sondern schlimmstenfalls zur Beschädigung von Maschinen führen, wenn ein Roboter eine falsche Bewegungskurve durchläuft.
Das RFID-System gibt Antworten
Siemens, ein führender Anbieter von industriellen Identifikationskomponenten, hat die Anforderungen der Industriekunden mit einem Portfolio aus Readern und optimierter Firmware, speziellen Antennen und einer breiten Auswahl an Transpondern beantwortet. Unter der Überschrift "UHF for Industry" hat der Automatisierungsspezialist die UHF-RFID-Technik seiner Produktfamilie Simatic RF600 tauglich gemacht für den Einsatz in Produktion und industrieller Logistik. Hierzu zählen leistungsfähige Algorithmen in den Readern, verschiedene Antennenbauformen für unterschiedliche Anwendungszwecke und ein breites Angebot an Transpondern und sogenannten Smart Labels - kostengünstigen Klebeetiketten mit Funkchips. So erlaubt die Firmware in den Lesegeräten nun die adaptive Anpassung der Sendeleistung an die aktuellen Erfordernisse. Die Ausfilterung von Überreichweiten kann über verschiedene Methoden erfolgen, die unter anderem über statistische Verfahren arbeiten. Damit kann sichergestellt werden, dass trotz Überreichweiten nur derjenige Transponder an das übergeordnete System gemeldet wird, der tatsächlich bearbeitet werden soll.
Zur Einrichtung der Lesestellen bietet Siemens mit RF-DIAG ein leistungsfähiges Werkzeug, das die verschiedenen Anwendungsfälle wie Ersteinrichtung, Optimierung oder Fehlerdiagnose praxisnah unterstützt. Hierzu dienen zum Beispiel die Live-Anzeige aller erfassten Transponder inklusive der erforderlichen Qualitätsparameter und die direkte Parametrierung der Reader aus dem Tool heraus. Auch der Gerätetausch ist nun besonders einfach, da alle Parameter auch vollautomatisch aus der Steuerung Simatic S7 (SPS, Speicherprogrammierbare Steuerung) über verschiedene Anbindungen wie Profibus oder Profinet in die Reader übertragen werden. Schließlich können Qualitätsdaten zur Beurteilung der Lesestelle (im Sinn vorbeugender Wartung bzw. Diagnose im laufenden Betrieb) durch die SPS abgerufen und z. B. für eine Visualisierung auf einem Simatic HMI Panel aufbereitet werden.
Nutzen auf Cent und Euro
Für die Anwender hat die UHF-RFID-Technik wichtige Vorteile. Erstmals ist es durch die Kombination kostengünstiger Smart Labels mit dennoch hoher Reichweite möglich, Erzeugnisse oder Hilfsgüter (Paletten, Transportbehälter, Werkzeuge) dauerhaft mit RFID zu kennzeichnen. So waren in der Produktion, wo bislang fast ausschließlich Umlauf-Datenträger zum Einsatz kamen, aufwändige Maßnahmen zur Datensicherung und -Übertragung notwendig, wenn der Transponder vom Produkt entfernt oder das Erzeugnis von seiner Transporteinheit (z. B. Skid) getrennt wurde. Es musste sichergestellt werden, dass die Daten auch weiterhin für jedes einzelne Erzeugnis verfügbar sind. Besonders bei manuellen Eingriffen konnte dies zu Fehlern führen, die mit großem Aufwand korrigiert werden mussten. Durch UHF-RFID werden nun alle Daten direkt am Erzeugnis geführt, so dass ein Datenverlust nahezu ausgeschlossen ist.
In der industriellen Logistik hingegen war eine Verfolgung der Transportbehälter oder Werkzeuge bislang kaum wirtschaftlich möglich. Als Folge konnte zum Beispiel eine Bestandsoptimierung im Hinblick auf die Umschlagsgeschwindigkeit kaum durchgeführt werden - einfach, weil die erforderliche Datenbasis fehlte. Auch die Steuerung von Sekundärprozessen, z. B. zur Wartung und Reinigung der Transporteinheiten, kann ohne vollständige Informationen nur "auf Verdacht", d. h. anhand festgelegter Intervalle erfolgen. Wird jedoch eine lückenlose Nutzungshistorie ("Containerpass") automatisch erzeugt, können diese Hilfsschritte nach tatsächlicher Verwendung erfolgen.
Sinnvoll ist vor allem die Kombination verschiedener Prozesse. Da die Objekte nun dauerhaft gekennzeichnet sind, kann ein Transponder für verschiedenste Zwecke genutzt werden. So kann die Logistik zwischen Zulieferer und Produkt-Hersteller kontrolliert, die Produktion gesteuert, die Lagerhaltung optimiert und die Warenausgangs-Buchung automatisiert werden. Der weltweite Standard EPCglobal und seine industrietaugliche Implementierung in geeignete Lesegeräte, Antennen und Transpondern macht es möglich, eine gemeinsame Infrastruktur für zahlreiche bewegte Güter zu nutzen. Die Investmentrendite kann in vielen Applikationen somit gut nachgewiesen und in vergleichsweise geringer Zeit erreicht werden.
UHF-RFID als Strategie-Werkzeug
Doch UHF-RFID kann mehr sein als ein reines Optimierungsmittel - in manchen Unternehmen wird es zum Werkzeug zur Umsetzung der Unternehmensstrategie. Denn der RFID-Einsatz macht neue Geschäftsmodelle möglich, die bislang nicht oder nur sehr aufwändig realisierbar waren. Will sich ein Unternehmen z. B. durch ein besonders breites Produktangebot gegen seine Wettbewerber positionieren, muss eine ausgeklügelte Produktions- und Logistikkonzeption dafür sorgen, dass die Kosten nicht übermäßig steigen. So kann das Unternehmen bei der Umstellung auf variantenreiche Produktion ("Mass Customization") nicht mehr vorab, sondern muss auftragsbezogen produzieren. Auch die Lagerhaltung und Logistik muss darauf ausgerichtet werden, dass ein Hersteller nicht mehr Massenware an die Vertriebspartner liefert, sondern Einzelstücke an Endkunden.
Ein weiteres strategisches Ziel kann die Verbesserung der Kostenposition darstellen. Durch RFID ist es möglich, Bestände zu optimieren und die Kapitalbindung für Hilfsmittel wie Transportbehälter zu senken. Dadurch kann z. B. die Logistik kostengünstiger arbeiten. Wird durch UHF-RFID eine lückenlose Überwachung erreicht, kann die Liefertreue bei gleichbleibenden Stückkosten verbessert werden, um z. B. Fehllieferungen auszuschließen. Nur durch solche Maßnahmen kann es möglich werden, bestimmte Leistungsversprechen wie 100 % fehlerfreie Lieferung überhaupt zusagen zu können.
Schließlich kann durch den RFID-Einsatz die Markteintrittsbarriere für Wettbewerber erhöht werden, insbesondere in Produktionsnetzwerken. Werden UHF-Transponder durchgängig in einer Lieferbeziehung (z. B. Zulieferer zum Produzenten) eingesetzt, erhöht sich der Grad der Integration zwischen beiden Unternehmen. Damit wird es für Wettbewerber schwerer, den bisherigen Zulieferer zu substituieren - es genügt nicht mehr, "nur" bessere Produkte anzubieten, sondern es muss auch die Prozessqualität mit der erforderlichen technischen Infrastruktur erreicht oder übertroffen werden. Gerade für mittelständische Unternehmen bietet sich hier die Chance für einen wichtigen Wettbewerbsvorteil.
Referenzen aus der Industrie
Wichtige Zulieferbetriebe der Automobilindustrie arbeiten bereits mit UHF-RFID in der Produktion. Als eines der ersten Unternehmen hat Rehau die Stoßfänger-Produktion mit Simatic UHF-Komponenten optimiert. Hier wird ein Smart Label nach dem Spritzguss in die Stoßfänger eingeklebt und folgt dann sämtlichen Produktionsschritten (z. B. Anzeige von Montagehinweisen je Stoßfänger für die Mitarbeiter, Einstellen der Maschinen) bis hin zur korrekten Verladung im Lkw für die Just-in-Time/Just-in-Sequence-Logistik. ZF Getriebe stattet seine Getriebegehäuse mit einem UHF-Transponder aus, der in Ergänzung zur Funktechnik auch einen 2D-Datamatrix-Code und eine Klarschriftnummer eingeprägt bekommt. Doch bei RFID können die Anwenderdaten während des Herstellungsprozesses umprogrammiert werden, so dass die Taktzeiten durch dezentrale Datenhaltung reduziert werden können.
Auch außerhalb der Automobilindustrie finden sich interessante Applikationen. Der Aluminiumhersteller Aleris hat den RFID-Einsatz zum Management seiner Transportbehälter untersucht und hierzu die bis zu 130 °C heißen Stahltiegel mit Transpondern ausgerüstet. Zur Erfassung der Behälter dienen fest installierte Lesestellen, die bei der Werksausfahrt sogar im Außeneinsatz klaglos ihren Dienst tun. Neben einer genau und automatisch nachvollziehbaren Lieferstrecke (z. B. Nachweis des Gefahrenübergangs) lassen sich durch die gewonnene Nutzungshistorie der Behälter auch Sekundärprozesse wie die Behälterreinigung optimieren.
Siemens setzt auch selbst auf die UHF-RFID-Technik. Im Telefonwerk Leipzig wird in jedes IP-Telefon ein Funkchip eingesetzt, der sowohl zur Produktionssteuerung als auch zur Logistik genutzt wird. So können durch die Pulkerfassung von gleichzeitig mehr als 100 Telefonen im Versandzentrum in Eltersdorf nun auf jedem Lieferschein automatisch die Seriennummern der gelieferten Geräte angegeben und in den Systemen vermerkt werden - eine wichtige Information z. B. zum Management von Garantieabwicklungen.
Weiteres Potenzial
Die Nutzung von UHF-RFID in der Industrie ist jedoch noch lange nicht ausgeschöpft. Insbesondere bei der durchgängigen Nutzung der RFID-Etiketten über Werks- und Unternehmensgrenzen hinweg gibt es derzeit noch ein hohes Potenzial, das nur in Ansätzen erschlossen ist. Alleine die zahlreichen, unterschiedlichen Barcodes auf einer Standard-Sendung per Spedition zwischen Unternehmen (Herstellerkennung, Logistikdaten, ergänzende Teileinformationen usw.) zeigen auf, wo Verbesserungen möglich und notwendig sind. In einem beispiellosen Projekt wird dies derzeit für die Automobilindustrie untersucht. Erstmalig nimmt das Förderprojekt "RAN" - das "RFID-based automotive network" - die durchgängige Identifikation per RFID für die automobile Lieferkette in den Blick und analysiert in verschiedenen Szenarien, wie UHF vorteilhaft für die beteiligten Partner eingesetzt werden kann - mit vielversprechenden Ergebnissen. Die Technik ist mit "UHF for Industry" reif für diese nächsten Schritte.