Die ESS ist ein Mega-Projekt. Der Bau der Forschungseinrichtung begann 2014. Die gesamte Gebäudefläche beträgt mehr als 13 Fußballfelder. Nach Angaben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung soll die Neutronenquelle 2025 im Dauerbetrieb sein. Ihre einzige Aufgabe ist es, durch die sogenannte Spallation freie Neutronen für die Materialforschung zu gewinnen.
Die ESS wird die leistungsfähigste Neutronenquelle der Welt sein und jährlich von tausenden von Wissenschaftlern genutzt werden können. Die Anlage umfasst einen Linearbeschleuniger, eine Targetstation, eine Anordnung von Neutroneninstrumenten, mehrere Laboratorien sowie ein Daten- und Softwarezentrum, das bei der Universität Kopenhagen in Dänemark angesiedelt ist.
Neue Einblicke für verschiedene Wissenschaftsbereiche
Die Neutronen sind wichtige „Handwerkszeuge“ für die Materialforschung. Mit ihrer Hilfe können aus dem Innersten der Materie verschiedenste Informationen herausgeholt werden. Sie erlauben tiefe Einblicke in die innere Struktur und Dynamik von Materie und zerstören dabei nicht die Untersuchungsobjekte. Die ungeladenen Kernteilchen können bis zu Billiardstel Metern kleine Strukturen und Billiardstel Sekunden kurze Bewegungen feststellen. Sie machen Kristallgitter und magnetische Strukturen, aber auch Bewegungen von Teilchen sichtbar und identifizieren verschiedene Isotope eines Elements. Dadurch eröffnen sich faszinierende Möglichkeiten. Mit den ESS-Neutronen können Materialeigenschaften erforscht werden, die mit anderen Methoden nicht möglich wären. Forschende aus Physik, Chemie, Biologie, Life Science, Energieforschung, Medizin, aber auch Archäologie und Kunstgeschichte werden wichtige neue Entdeckungen für die Menschheit machen können.
Um die gewünschten Neutronen zu gewinnen ist ein aufwändiger Prozess nötig: Neutronen sind im Atomkern festgehalten. Sie müssen also „befreit“ werden. Statt Kernspaltung zu nutzen, wird im der ESS dafür das moderne Konzept der Spallation, was so viel wie „Absplitterung“ bedeutet, genutzt. Und das funktioniert so: Eine Ionenquelle wird mit rasch wechselnden elektromagnetischen Feldern voller Wasserstoffgas aufgeheizt, damit sich die Elektronen aus den Gasmolekülen lösen. Zurück bleiben die Protonen. Diese werden in einem sechshundert Meter langen, unterirdischen Linearbeschleuniger mithilfe von weiteren elektromagnetischen Feldern so stark beschleunigt, bis sie mit einer Energie von rund zwei Gigaelektronenvolt nahezu mit Lichtgeschwindigkeit durch den Beschleuniger rasen. In der Targetstation kollidieren die Protonen mit einem rotierenden Target. Dieses sogenannte Target besteht aus dem Schwermetall Wolfram. Hier spalten die Protonen Neutronen aus den Kernen der Wolframatome ab, etwa zwanzig bis dreißig Neutronen für jedes Proton. Dies ist die sogenannte Spallation. Sie gilt als wesentlich effizienter als die Kernspaltung, da sie viel größere Neutronenflüsse für die Forschung liefert, mit dem zusätzlichen Vorteil, dass sie keine selbsterhaltende Kettenreaktion beinhaltet.
Neutronen abbremsen
Die aus dem Wolfram-Target freigesetzten Neutronen sind allerdings noch viel zu schnell und energiereich, um für wissenschaftliche Experimente genutzt zu werden. Sie müssen von etwa 10 % der Lichtgeschwindigkeit auf etwa die Schallgeschwindigkeit abgebremst werden. Dazu schickt man sie durch Moderatoren, die mit Wasser oder flüssigem Wasserstoff gefüllt sind. Nach dieser quasi „Vollbremsung“ gelangen die freien Neutronen über Beamlines zu den Experimentierplätzen. Hier zeichnen Detektoren auf, wie sich die Neutronen beim Durchgang durch verschiedene Materialproben verändern. So lässt sich berechnen, wie sich die Atome in der Probe anordnen und wie sie sich bewegen.
Diese Analyse wird mit Hilfe des Daten- und Softwarezentrums in Kopenhagen durchgeführt. Die ESS wird einmal der „Leuchtturm“ der Neutronengewinnung sein, denn die Neutronenstrahlen der ESS werden bis zu 100-mal intensiver sein als beim Hochflussreaktor am Institut Laue-Langevin in Grenoble und fünfmal so leistungsstark wie die Spallation Neutron Source des Oak Ridge National Laboratory in den USA.
Hohe Anforderungen an die Kabel
Entsprechend hoch sind auch die Anforderungen an die benötigten Verbindungslösungen. Hier hat LAPP hat in guter Zusammenarbeit mit Elektroskandia und Assemblin mit Know-how und innovativen Produkten zu diesem spektakulären Projekt beigetragen. So wurden zur Steuerung und Überwachung im Beschleuniger mehr als 16.000 Signalkabel benötigt. Vieles ist maßgeschneidert und alles muss bis ins kleinste Detail perfekt funktionieren. Dies gilt insbesondere für Kabel und elektrische Komponenten, denn die Geräte sind hochempfindlich. Die Firma Assemblin in Malmö wurde mit der Durchführung der elektrischen Installationen an den Beschleunigerteilen beauftragt. Hierfür hatte Rolf Grahl, Projektleiter bei Assemblin, von ESS ein hartes Pflichtenheft für die zu installierenden Produkte erhalten. Benötigt wurden beispielsweise mehr als 100 verschiedene Kabeltypen. Viele davon sind Spezialkabel, mit hohen Anforderungen u.a. an Strahlenschutz, Schirmung und Temperaturbeständigkeit. Bei der Umsetzung hat Assemblin mit dem Elektrogroßhändler Elektroskandia in Malmö zusammengearbeitet, dessen breites Sortiment auch die Produkte von LAPP umfasst.
Rolf Grahl: „Assemblin hat 45 Elektroinstallateure vor Ort. Auch für sie ist das Projekt eine große Herausforderung, mit schwierigen Installationen in Umgebungen mit sehr speziellen Bedingungen. Wir sind stolz darauf, unseren Teil des ESS auszuführen.“ Wenn die Arbeiten abgeschlossen sind, werden schätzungsweise 800.000 Meter Kabel verlegt worden sein. Über den Großhändler Elektroskandia in Malmö wurde bei LAPP vor allem nach feuerfesten und halogenfreien Kabeln für die Anlage nachgefragt. Bei ESS wurden beispielsweise die halogenfreien Steuerleitungen ÖLFLEX® CLASSIC 130 H und ihre geschirmten halogenfreien Varianten ÖLFLEX® CLASSIC 135 CH. installiert. Sie zeichnen sich durch verbessertes Brandverhalten aus. Zum Einsatz kommen aber auch UNITRONIC® LiHH/LiHCH. Dabei handelt es sich um halogenfreie Datenübertragungskabel mit Aderkennzeichnung nach DIN 47100 sowie ihre geschirmte Variante. Darüber hinaus hat LAPP ein kundenspezifisches Produkt mit einem speziellen Isolations- und Mantelmaterial hergestellt, das gegen ionisierende Strahlung, die beim Spallationsprozess entsteht, resistent ist und eine Einzel- und Gesamtabschirmung aus einem Aluminiumband und mit passenden zweiadrigen Leitern versehen ist. „Insgesamt haben wir rund 70 Varianten geliefert“, sagt Mathias Jönsson, regionaler Verkaufsleiter bei LAPP in Schweden und ergänzt: „Wir freuen uns, dass wir die Materialanforderungen für die ESS-Forschungsanlage erfüllen können und LAPP bei diesem bedeutenden Projekt dabei ist.“
Die weltweit führende Spallationsquelle ESS wird für die Forschung in Deutschland und Europa von großer Bedeutung sein - ein Meilenstein für die Wissenschaft!