Die vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance) nimmt bei Industrie 4.0-Anwendungen eine wichtige Rolle ein. Experten sehen in dieser Technologie das größte Anwendungs- und Nutzenpotenzial. Sie eröffnet ganz neue Servicemodelle in der digitalisierten Fabrik. Statt der reaktiven Wartung, bei der ein Teil erst ausgetauscht wird, wenn die Maschine bereits streikt, wurden bisher vorsichtshalber Teile oft viel zu früh ausgetauscht, um das Risiko eines Produktionsstillstands zu vermeiden. Die vorausschauende Wartung ist ein guter Kompromiss. Sie nutzt Sensordaten, um daraus Rückschlüsse auf die tatsächliche Alterung des Teils zu ziehen und um den günstigsten Zeitpunkt für den Austausch zu berechnen. Solche Lösungen gibt es bereits auch für Verbindungssysteme. Überzeugend sind sie allerdings nicht. Entweder benötigen sie spezielle Kabel mit einem Referenz- oder Opferdraht oder zwei Boxen, die am Anfang und am Ende der Leitung angedockt werden. Eine einfachere Lösung stellt nun LAPP vor. Guido Ege, Leiter Produktentwicklung und -management bei LAPP: „Wir wollten unseren Kunden eine Lösung anbieten, die sich meldet, bevor eine Leitung ausfällt und die ohne diese Nachteile auskommt. Wir wollen Fabriken smart, zuverlässiger und transparenter machen, und da sind praktikable Lösungen für Predictive Maintenance ein Schlüssel.“
Start mit Ethernet-Leitungen
Die Entwicklungsexperten von LAPP haben sich zunächst auf Leitungen der industriellen Datenkommunikation konzentriert, einem wichtigen Wachstumsfeld von LAPP. Der Grund: Ethernet-Leitungen haben einen komplexen Aufbau und zeigen mit ihren Hochfrequenzeigenschaften spezielle Fehlercharakteristika, daher eignen sie sich besonders gut für so eine Prognose. Der Alterungsprozess bei Ethernet-Leitungen ist schleichend. Er fängt mit einer gebrochenen Abschirmung an, was zu erhöhten EMV-Störungen führt. Brechen Litzen, nimmt die Dämpfung zu und die Datenrate sinkt. Bei einem kompletten Aderbruch fällt die Kommunikation schließlich ganz aus. Ziel von LAPP war es, den optimalen Austauschzeitpunkt einer Leitung vorauszuberechnen und damit den Zeitpunkt des Austausches so zu planen, dass die Produktion möglichst wenig gestört wird. Die voraussichtliche Lebensdauer wird aus den Veränderungen der tatsächlichen Übertragungseigenschaften errechnet und kann für den gleichen Leitungstyp unterschiedlich ausfallen, je nachdem, wie die Leitung eingesetzt wird. So altert eine Leitung schneller, wenn sie bewegt wird, als eine Leitung bei fester Verlegung. Ethernet-Leitungen sind aber nur der Anfang. Im nächsten Schritt sollen auch stromführende Leitungen überwacht werden.
Keine Änderung am Kabel
Ein großer Vorteil des Messprinzips von LAPP ist, dass keine Veränderung des Leitungsaufbaus notwendig ist. Es braucht keine zusätzlichen Mess- oder Opferadern im Kabel. Die Vorhersage ergibt sich ausschließlich aus einem Protokoll und einem speziellen Algorithmus. Für den Installateur ändert sich nichts. Er kann die Leitungen wie gewohnt anschließen und muss keine zusätzlichen Opferadern verbinden. So ist auch ein Retrofit bestehender Anlagen möglich.
Die Messung und Auswertung erfolgt in der so genannten PMBx (Predictive Maintenance Box).
Sie wird in die Ethernet-Leitung eingebracht und überwacht das Leitungsstück zwischen Anwendung und PMBx. Die Datenpakete laufen ohne merkliche Verzögerung vom einen Ethernet-Port zum anderen Port. Für eine angeschlossene SPS ist die PMBx unsichtbar. Sie hat keinen Einfluss auf die Datenübertragung. Damit eignet sie sich auch für bestehende Anlagen. Änderungen an der Software der SPS sind nicht notwendig.
Messwerte im Big-Data-Ansatz
Aus diesen Berechnungen ergibt sich der LAPP Predictive Indicator. Dabei handelt es sich um einen Mix aus übertragungsrelevanten Parametern. Er erlaubt Plausibilitätsprüfungen und minimiert Fehlinterpretationen von Messwerten. Für die Energiekettenleitungen hat LAPP im hauseigenen Testzentrum Messwerte im Big-Data-Ansatz gesammelt. Diese wurden anschließend durch mathematische Algorithmen analysiert. Die resultierenden Parameter wurden dann mit den Daten des Kunden in der PMBx im laufenden Betrieb zum LAPP Predictive Indicator verrechnet.
Künftig möchte LAPP auch Machine-Learning-Ansätze nutzen. Das würde die Vorhersagequalität des Algorithmus zusätzlich steigern. Je mehr Daten es gibt, umso genauer wird die Vorhersage. In diese Vorhersage soll auch die Restlebensdauer abhängig vom Bewegungsprofil der Leitung eingehen. So lässt sich der passende Austauschzeitpunkt besser planen. Das Ersatzbauteil kann rechtzeitig bestellt werden und der Austausch kann in einen Zeitraum gelegt werden, in dem die Maschine ohnehin nicht läuft, zum Beispiel während einer Umrüstung oder zeitgleich mit anderen Wartungsarbeiten.
„Wir freuen uns, jetzt mit Pilotkunden in erste konkrete Umsetzungen zu starten“, sagt Susanne Krichel, Business Development IoT bei LAPP. Im nächsten Schritt solle ein passendes Geschäftsmodell entwickelt werden.
Freiräume für Innovationen schaffen
Der Erfolg ist das Ergebnis eines neuen Innovationsprozesses namens Innovation for Future. Damit möchte das Unternehmen radikale und disruptive Innovationen realisieren, für die zum Beispiel ein klassischer Stage-Gate-Prozess ungeeignet ist. Guido Ege ist optimistisch, dass sich LAPP damit tiefgreifend verändern wird. „Innovation for Future schafft die Freiräume, damit wir uns weiter vom Anbieter physischer Produkte zum Anbieter von Systemlösungen entwickeln können.“